Prof. Dr. Karsten Metzlaff
1. Zweck des schriftlichen Verfahrens
Rz. 26
Zweck des schriftlichen Verfahrens (in allen Verfahrensarten) ist es, den Gegenstand der Rechtssache genau zu erläutern und so dem Gerichtshof umfassend Sachverhalt, Angriffs- und Verteidigungsgründe sowie Argumente und Anträge der Beteiligten darzulegen.
Rz. 27
Das Vorabentscheidungsverfahren ist kein kontradiktorisches Verfahren, so dass den Beteiligten nur die Möglichkeit gegeben wird, auf das ihnen vom EuGH zugestellte Vorabentscheidungsersuchen des nationalen Gerichts Stellung zu nehmen. Nach Eingang beim EuGH wird der Vorlagebeschluss den Parteien des Ausgangsverfahrens, der Kommission sowie allen Mitgliedstaaten zur Stellungnahme übersandt. Dies nimmt im Hinblick auf die notwendigen Übersetzungen einige Zeit in Anspruch. Vom Eingang des Vorlagebeschlusses an haben die Adressaten Gelegenheit, binnen einer Ausschlussfrist von zwei Monaten gegenüber dem EuGH eine Schriftsatz mit ihren schriftlichen Erklärungen einzureichen (Art. 23 Abs. 2 Satzung EuGH). Die Kommission nimmt als Hüterin der Verträge zu allen Vorlageersuchen Stellung. Die Parteien des Ausgangsverfahrens sollten von dieser Möglichkeit auch auf jeden Fall Gebrauch machen; denn sie können nicht davon ausgehen, dass der EuGH die im bisherigen Rechtsstreit gewechselten Schriftsätze zur Kenntnis nimmt, und müssen in Betracht ziehen, dass eine mündliche Verhandlung nicht stattfindet (vgl. Rdn 34). Inhaltlich kann eine kurze Darstellung des streitgegenständlichen deutschen Rechts von Vorteil sein, da größtenteils Juristen fremder Rechtsordnungen über die Vorlagefrage entscheiden werden. Am Ende sollte der Schriftsatz einen Vorschlagstenor beinhalten, den der Gerichtshof für sein Urteil verwenden kann.
Rz. 28
In den Klageverfahren hat jede Partei die Möglichkeit, zwei Schriftsätze einzureichen. Die Klagepartei kann dabei Klageschrift und Erwiderung, die beklagte Partei Klagebeantwortung und Gegenerwiderung vorbringen. Strengere Vorgaben als im Vorabentscheidungsverfahren ergeben sich hinsichtlich des Anwaltszwangs und den inhaltlichen Angaben in den Schriftsätzen, die Art. 119 ff. VerfO EuGH und Art. 21 Satzung EuGH (Art. 51 Abs. 1, Art. 76 VerfO EuG) entnommen werden können. Darüber hinaus gilt gemäß Art. 127 Abs. 1 VerfO EuGH (Art. 84 VerfO EuG) der Grundsatz, dass während des Klageverfahrens keine neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel vorgebracht werden dürfen, mit der Ausnahme solcher Mittel, die während des Verfahrens zutage getreten sind. Zudem soll jedem Schriftsatz eine kurze Übersicht über Klagegründe und Argumente hinzugefügt werden. Das Gericht hat unter folgendem Link ein Muster für diese Zusammenfassung veröffentlicht: https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2018–11/tra-doc-de-div-t-0000–2018–201809532–05_00.pdf.
2. Allgemeine Hinweise für das schriftliche Verfahren
Rz. 29
Zur Förderung der papierlosen Kommunikation wurde die Anwendung e-Curia eingeführt, über die Verfahrensschriftstücke auf elektronischem Wege eingereicht und den Parteivertretern zugestellt werden können. Hinweise zum Zugang über e-Curia finden sich unter folgendem Link: https://curia.europa.eu/e-Curia. Seit Herbst 2018 ist die Nutzung von e-Curia bei Verfahren vor dem EuG verpflichtend, während sie vor dem EuGH noch freiwillig bleibt. Zu beachten sind die unterschiedlichen Anforderungen an das Einreichen von Schriftsätzen sowie an die Schriftsätze selbst, je nachdem, ob über e-Curia oder auf nicht elektronischem Wege eingereicht wird. Neben den jeweiligen Verfahrensordnungen der Gerichte sind deshalb auch die zur Nutzung von e-Curia herausgegebenen Hinweise zu beachten.
Rz. 30
Bei der Formulierung der Schriftsätze empfiehlt sich eine knappe und präzise Darstellung sowie kurze Sätze und ein strukturierter Aufbau. Die Richter und Generalanwälte lesen meist eine übersetzte Fassung, in der Ungenauigkeiten durch die Übersetzung noch verstärkt werden können. Wegen des Zeitaufwands der Übersetzungen sind Wiederholungen zu vermeiden. Ein logischer Aufbau mit Zwischenüberschriften und nummerierten Abschnitten erleichtert das Verständnis zusätzlich.
Rz. 31
Alle Schriftsätze sind bei der Kanzlei des Gerichtshofs einzureichen, wobei fünf Abschriften für den EuGH und bei Klageverfahren je eine weitere Kopie für jede andere am Rechtsstreit beteiligte Partei vorzubereiten ist (Art. 57 Abs. 2 VerfO EuGH). Bei einer Einreichung über die Anwendung e-Curia müssen keine Abschriften oder Kopien übersendet werden (dies gilt auch beim EuG, vgl. Art. 72 VerfO EuG). Seit der Überarbeitung der Verfahrensordnungen besteht für die Gerichte die Möglichkeit, die maximale Länge der Schriftsätze zu begrenzen, wovon der EuGH bisher nicht Gebrauch gemacht hat. Das Gericht hingegen hat eine Obergrenze für die Seitenzahlen der Schriftsätz...