Rz. 56

Die Ergebnisse der Familienstrategie werden in einer Familiencharta dokumentiert: das gemeinsame Verständnis der Familie von Fundament, Perspektive, Verantwortlichkeiten, Regeln und Plattformen. "Die Familiencharta stabilisiert die Familie. Sie soll dadurch ihrer Verantwortung gegenüber Unternehmen und Vermögen besser gerecht werden."[22]

Die Struktur der Familiencharta korrespondiert mit den Bausteinen der Familienstrategie. So wie aber die Ergebnisse der Familienstrategie für jede Familie einzigartig sind, so familienspezifisch sind auch die Inhalte der Charta.

Abb. 7: Struktur einer Familiencharta[23]

 

Rz. 57

Adressaten der Familiencharta sind aktuelle und künftige Mitglieder der Unternehmerfamilie, die direkt oder indirekt Einfluss auf das Vermögen ausüben. Der Familienbegriff ist durch die Familie auszufüllen: Weder der Verwandtschaftsgrad noch die Beziehung zum Unternehmen sind allein ausschlaggebend. Die Familiencharta erleichtert die Kommunikation der Ergebnisse an neue Familienmitglieder – Kinder, Ehe- oder Lebenspartner – und ausgewählte Familienfremde (ggf. Führungskräfte, Testamentsvollstrecker etc).

 

Rz. 58

Von Überschneidungen mit vertraglichen Regelungen, insbesondere den gesellschaftsvertraglichen, ist schon aus praktischen Gründen abzusehen.[24] Generell ist es nicht Zweck der Charta, rechtlich verbindlich zu regeln. Ihr Zustandekommen, d.h. der Prozess und die Bausteine der Familienstrategie, zielen stattdessen auf das Commitment der Familienmitglieder, auf eine freiwillige Selbstbindung.

Die Familiencharta verzichtet bewusst auf Sanktionen. Sanktionen können die Kooperationsbereitschaft, eine gemeinsame Perspektive und das Vertrauen in einer Familie nicht herstellen und nicht ersetzen. Weniger die Familiencharta selbst als vielmehr der Prozess ihrer Erarbeitung erzeugen das Commitment der Familienmitglieder. Bei der Weitergabe an neue Familienmitglieder ist daher Wert auf die Vermittlung ihrer Inhalte und der Geschichte ihrer Entstehung zu legen.

Abb. 8: Unterschiede zwischen Gesellschaftsvertrag und Familiencharta bzw. Familienverfassung[25]

 

Rz. 59

So verführerisch die Vorstellung auch sein mag, einer Familie den fertigen Vorschlag einer Familiencharta vorzulegen und so vermeintlich Zeit zu sparen, so wenig zielführend ist ein solches Vorgehen. Es geht ja nicht vorrangig darum, eine Familiencharta zu besitzen. Sie sollte keinesfalls als Statussymbol einer Unternehmerfamilie oder vermögenden Familie missverstanden werden. Das Nützliche der Charta besteht vielmehr in der Verinnerlichung ihrer ganz spezifischen Inhalte. Dazu sind Reflexion und Kommunikation unerlässlich.

 

Rz. 60

Die Inhalte der Familiencharta gilt es in der Familie präsent zu halten. Die allgemeinverständliche Sprache erleichtert dies[26] und verhindert, dass sie – wie so oft der Gesellschaftsvertrag eines Familienunternehmens – die Informationsasymmetrie noch verstärkt. Über die Charta zu sprechen, ihren Bezug zur Gegenwart herzustellen, erneuert die identitätsstiftende Kraft der in ihr formulierten Werte, die einende Kraft der Ziele, die ordnende Kraft der Verantwortlichkeiten, die Akzeptanz der Regeln und den Nutzen der Plattformen.

Die Familiencharta ist Ausdruck von Konstanz. Sie wird aber immer im Licht der Gegenwart gelesen. Familien ändern sich, Anforderungen ändern sich. Es ist darum klug, sie in einem definierten Prozess zu hinterfragen und in Korrespondenz zur gelebten Family Governance weiter zu entwickeln.

[22] Baus, Familienstrategie, S. 134. Ein Beispiel für den Aufbau einer Familiencharta ebenfalls bei Baus, Familienstrategie, S. 111 ff.
[23] Die Formulierungen in Abb. 7 sind auf Unternehmerfamilien zugeschnitten. Für Familien mit komplexem Vermögen (einschließlich oder ohne Unternehmensbeteiligung) werden sie modifiziert.
[24] Ebenso Lange, in Röthel/Schmidt, S. 40. Lange legt nahe, auch auf eine Bezugnahme in der Präambel des Gesellschaftsvertrages auf die Charta zu verzichten, S. 44.
[25] Abbildung aus Hennerkes/Kirchdörfer, Die Familie und ihr Unternehmen, S. 66; Lange, in Röthel/Schmidt, S. 39 plädiert für die Verwendung des Begriffs Familiencharta.
[26] Formulierungsbeispiele einer Familiencharta bei Baus, Familienstrategie, S. 117 ff.

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