Rz. 5
Das VVG sieht in den Fällen der Gefahrerhöhung, der Obliegenheitsverletzung, der Schadensherbeiführung und der Verletzung der Pflicht zur Minderung des Schadens statt des bisher geltenden "Alles-oder-Nichts-Prinzips" vor, dass sich der Versicherer (lediglich) auf eine quotale Leistungsfreiheit berufen kann, die sich an der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers orientiert, sofern diesem grobe Fahrlässigkeit anzulasten ist. Wie genau die Bildung dieser Kürzungsquote zu erfolgen hat, erläutert das Gesetz indes nicht näher. Erfasst werden folgende Leistungskürzungstatbestände:
(1) |
Die Verletzung vertraglicher Obliegenheiten (§ 28 VVG) |
(2) |
Die Leistungsfreiheit wegen einer Gefahrerhöhung (§ 26 VVG) |
(3) |
Die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls (§ 81 VVG) |
(4) |
Die Verletzung der Obliegenheit zur Schadensminderung und dem Befolgen von Weisungen des Versicherers (§ 82 Abs. 2 VVG) einschließlich einer Kürzung bei Rettungskosten (§ 83 VVG) und Schadensermittlungskosten (§ 85 VVG) |
(5) |
Die Verletzung der Obliegenheit zur Wahrung von Ersatzansprüchen (§ 86 Abs. 2 VVG) |
(6) |
Teilweiser Ersatz nicht erforderlicher Rettungskosten (§§ 82 f. VVG – strittig) |
Rz. 6
Im Rahmen der quotalen Leistungskürzung sind insbesondere die nachfolgenden Gesichtspunkte zu beachten:
1. |
Die Reichweite des Kürzungsrechts |
2. |
Der Einstieg bei der Bildung der Quote und die Beweislastverteilung |
3. |
Das Vorgehen in Kürzungsschritten |
4. |
Die Quotenbildung bei mehreren Pflichtverletzungen. |
I. Reichweite des Kürzungsrechts
Rz. 7
In der Literatur war nach der Reform des VVG lange Zeit umstritten, ob im Ausnahmefall auch bei einem (lediglich) grob fahrlässigen Fehlverhalten eine vollständige Leistungskürzung des Versicherers (auf Null) gerechtfertigt sein kann. Diese Frage hat der BGH entschieden und ein solches weitreichendes Kürzungsrecht im Ausnahmefall zugelassen.
Rz. 8
Muster 14.2: Vollständige Leistungsfreiheit
Muster 14.2: Vollständige Leistungsfreiheit
Der Versicherer kann auch bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer in Ausnahmefällen die Leistung in vollem Umfang kürzen (BGH, Urt. v. 22.6.2011 – IV ZR 225/10 = zfs 2011, 511; BGH, Urt. v. 11.1.2012 – IV ZR 251/10 = zfs 2012, 212 für § 28 Abs. 2 VVG). Hierfür ist eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich, wobei eine solche weitreichende Leistungskürzung insbesondere im Grenzbereich zu einem sog. "Eventualvorsatz" naheliegt (BGH, Urt. v. 22.6.2011 – IV ZR 225/10 = zfs 2011, 511; Nugel, Kürzungsquoten nach dem VVG, 2. Aufl. 2012, § 1 Rn 8 ff.).
In dem hier vorliegenden Fall ist eine solche weitreichende Leistungskürzung der Schwere des Verschuldens angemessen: _________________________.
Rz. 9
Hinweis
Eine solche weitreichende Kürzung ist jedoch die Ausnahme und bedarf einer sorgfältigen Begründung. Dabei ist auch zu beachten, dass der Versicherer die Beweislast für alle Umstände trägt, welche die Quote der Leistungskürzung begründen. Bei dem Versicherungsnehmer verbleibt dagegen eine sekundäre Darlegungslast, so dass es genügt, wenn er die zu seinen Gunsten sprechenden Umstände schlüssig vorträgt.
Rz. 10
Muster 14.3: Keine vollständige Leistungsfreiheit
Muster 14.3: Keine vollständige Leistungsfreiheit
Eine vollständige Leistungskürzung des Versicherers ist ein Ausnahmefall, der in der Regel auf ein Verschulden beschränkt ist, welches im Grenzbereich zu einem Vorsatz liegt (BGH, Urt. v. 22.6.2011 – IV ZR 225/10 = zfs 2011, 511). Hierfür ist eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich (BGH, Urt. v. 22.6.2011 – IV ZR 225/10 = zfs 2011, 511; BGH, Urt. v. 11.1.2012 – IV ZR 251/10 = zfs 2012, 212 für § 28 Abs. 2 VVG). Hat der Versicherungsnehmer entlastende Umstände vorgetragen, die den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit jedenfalls im subjektiven Bereich in milderem Licht erscheinen lassen, und kann der Versicherer diese nicht ausräumen, so kommt nur eine anteilige Kürzung in Betracht. Hieraus folgt zugleich, dass die Beweislast für alle Umstände, welche eine weitreichende Kürzung rechtfertigen, beim Versicherer liegt (BGH, Urt. v. 22.6.2011 – IV ZR 225/10 = zfs 2011, 511; Nugel, Kürzungsquoten nach dem VVG, 2. Aufl. 2012, § 1 Rn 29).
Dieses vorausgeschickt zeigt sich, dass vorliegend eine vollständige Leistungsfreiheit nicht der Schwere des Verschuldens entspricht, wobei verbleibende Zweifel und Unsicherheiten zu Lasten des beweisbelasteten Versicherers gehen: _________________________.
II. Quotenbildung und die Beweislastverteilung
Rz. 11
Einigkeit besteht darüber, dass der Versicherer auch nach neuem Recht im Einklang mit den bisherigen Rechtsprechungen die Voraussetzungen für eine Obliegenheitsverletzung oder Gefahrerhöhung beweisen muss, während sich der Versicherungsnehmer nach einer festgestellten Obliegenheitsverletzung oder Gefahrerhöhung von einer vermuteten groben Fahrlässigkeit zu exkulpieren hat. Kontrovers wird aber die Beweislast für die Umstände diskutiert, die der Versicherer seiner Kürzungsquote zugrunde legt und die ihn zu der Kürzung in einer bestimmten Höhe berechti...