I. Übersicht
Rz. 30
Bei der Prüfung der Kürzungsquote ist auf die Kriterien zurückzugreifen, welche in der Literatur bereits entwickelt worden sind, und die sich weitestgehend in dem sog. "Goslarer Orientierungsrahmen" wiederfinden. Auf Anregung der Teilnehmer des Arbeitskreis II des 47. VGT hat ein Gremium aus Vertretern von Verbraucherschutzverbänden, der Versicherungswirtschaft, der Anwaltschaft und der Richterschaft eine Tabelle von sog. "Musterquoten" geschaffen, welche eine erste Orientierung für die Bildung der Kürzungsquote im Bereich der Kraftfahrtversicherung ermöglichen. Dabei wurden auch die maßgeblichen Kriterien näher erläutert, welche dieser Quotenbildung zugrunde liegen.
II. Begriff der groben Fahrlässigkeit
Rz. 31
Im Einklang mit der wohl einhelligen Auffassung in der Literatur sieht der Goslarer Orientierungsrahmen vor, dass "Begriff und Inhalt der groben Fahrlässigkeit nicht neu definiert werden müssen".
Dies entspricht der einhelligen Meinung in der Literatur, wonach der Begriff der groben Fahrlässigkeit im Bereich des Versicherungsrechts keine neue Ausprägung erfährt, sondern die bisher entwickelten Kriterien fortbestehen und es im Recht daher auch nur einen Begriff der groben Fahrlässigkeit gibt.
III. Objektive Kriterien und normative Vorprägung
Rz. 32
Ausgangspunkt für die Quotenbildung ist mithin erst einmal das objektiv festzustellende Verschulden. Dabei enthält der Goslarer Orientierungsrahmen folgenden Hinweis: "Zu berücksichtigen sind normative Vorprägungen aus anderen Rechtsgebieten ebenso wie die einschlägige Rechtsprechung zur groben Fahrlässigkeit. Der Rückgriff auf die Rechtsprechung schließt allerdings nicht aus, dort deutlicher zu differenzieren, wo es nach bisheriger Rechtslage auf eine exakte Bewertung des Verschuldensgrades nicht ankam."
Rz. 33
Für die konkrete Quotenbildung ist mithin bereits eine normative Vorprägung aus anderen Rechtsgebieten maßgeblich. Hierzu zählen insbesondere folgende Entscheidungen des Gesetzgebers, die im Orientierungsrahmen als Kriterien der Quotenbildung ausdrücklich hervorgehoben werden:
(1) |
"Ordnungswidrigkeit oder Straftat" |
(2) |
Verstoß gegen konkrete Ge- oder Verbote oder Verletzung allgemeiner Sorgfaltspflichten |
(3) |
Schädigung anderer Rechtsgüter |
(4) |
Art und Maß staatlicher Sanktionen“. |
Rz. 34
Diese normative Vorprägung dürfte gerade bei Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbeständen des Verkehrsstrafrechts eine besondere Rolle spielen. Es sind insbesondere die Straftatbestände der §§ 315, 316 StGB ebenso wie die im sog. Bußgeldkatalog vorgesehenen Sanktionen zu berücksichtigen. Neben der normativen Vorprägung sind weitere Kriterien des objektiven Verschuldens zu berücksichtigen. Im Goslarer Orientierungsrahmen werden diesbezüglich ausdrücklich genannt:
(1) |
"Voraussehbare (nicht tatsächliche) Schadenshöhe" |
(2) |
Dauer der Pflichtverletzung |
(3) |
Mitverschulden Dritter |
(4) |
Körperliche Beeinträchtigungen“. |
Ergänzend stellt die Rechtsprechung auch auf die Intensität der Pflichtverletzung ab.
IV. Subjektives Verschulden
Rz. 35
Dieses sog. objektive Verschulden stellt nach dem Goslarer Orientierungsrahmen nur einen ersten Anhaltspunkt im Rahmen der Quotenbildung dar und ist ggf. zu ergänzen. So wird insbesondere auf Folgendes hingewiesen: "Das objektive Verschulden kann durch subjektive Umstände verringert oder gesteigert werden. In Betracht kommen:"
(1) |
Augenblicksversagen |
(2) |
Besondere Gründe der Ablenkung |
(3) |
Gesteigerte Risikobereitschaft“. |
Rz. 36
Diese Kriterien entsprechen den Erwägungen innerhalb der Literatur zu möglichen weiteren Abwägungsfaktoren, zu denen der Versicherungsnehmer zumindest im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast detailliert und schlüssig vorzutragen hat. Ein Abgrenzungskriterium bildet nach dem Willen des Gesetzgebers die Nähe der groben Fahrlässigkeit zu einem vorsätzlichen Verhalten des Versicherungsnehmers. Ein wichtiges Indiz hierfür ist gegeben, wenn der Versicherungsnehmer sich seines gefährlichen Fehlverhaltens bewusst gewesen ist. Ist der Versicherungsnehmer sich seines riskanten Verhaltens bewusst und erkennt er zugleich die Möglichkeit der Verursachung des Versicherungsfalls, wird in Abgrenzung zum Vorsatz zu prüfen sein, ob er bei dem bewusst eingegangenen Risiko noch auf den guten Ausgang vertraut (bewusste Fahrlässigkeit) oder sich mit dem möglic...