Rz. 11
Einigkeit besteht darüber, dass der Versicherer auch nach neuem Recht im Einklang mit den bisherigen Rechtsprechungen die Voraussetzungen für eine Obliegenheitsverletzung oder Gefahrerhöhung beweisen muss, während sich der Versicherungsnehmer nach einer festgestellten Obliegenheitsverletzung oder Gefahrerhöhung von einer vermuteten groben Fahrlässigkeit zu exkulpieren hat. Kontrovers wird aber die Beweislast für die Umstände diskutiert, die der Versicherer seiner Kürzungsquote zugrunde legt und die ihn zu der Kürzung in einer bestimmten Höhe berechtigen sollen.
1. Beweislastverteilung bei Obliegenheitsverletzung
Rz. 12
Denkbar wäre folgende Lösung: Will der Versicherer eine höhere Kürzung vornehmen, müsste er die ihn dazu berechtigenden Umstände beweisen. Wenn jedoch der Versicherungsnehmer eine geringere Kürzung für gerechtfertigt hält, müsste er die Umstände beweisen, kraft derer von einem geringeren Verschulden auszugehen wäre.
Rz. 13
Diese Auffassungen stehen jedoch im Gegensatz zu dem Willen des Gesetzgebers. Zwar ist die Beweislastverteilung bzgl. des Nachweises der einzelnen Verschuldensgrade innerhalb der groben Fahrlässigkeit im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. In der Erläuterung zum Regierungsentwurf findet sich allerdings der Hinweis, dass der Versicherer die Beweislast für das Verschuldensmaß trägt, welches der zu bildenden Quote zugrunde liegt. Dieser Wille des Gesetzgebers ist daher auch für die Rechtsprechung verbindlich, zumal die dadurch geschaffene Beweislage auch der Ratio der betroffenen Vorschriften Rechnung trägt, wonach das "Alles-oder-Nichts-Prinzip" grundsätzlich aufgegeben wird und es in diesem Zusammenhang naheliegt, dass der Versicherer auch die Umstände zu beweisen hat, welche die von ihm gewollte Kürzung rechtfertigen. Diese Einwände gelten natürlich erst recht, wenn dem Versicherungsnehmer die gesamte Beweislast auferlegt wird.
Rz. 14
Muster 14.4: Keine Beweislast bei dem Versicherungsnehmer
Muster 14.4: Keine Beweislast bei dem Versicherungsnehmer
Soweit vorliegend die Auffassung vertreten wird, den Versicherungsnehmer würde die Beweislast für ihn bei der Bildung der Kürzungsquote entlastende Umstände treffen, steht diese Ansicht im Widerspruch zu dem dokumentierten Willen des Gesetzgebers. In der Erläuterung zum Regierungsentwurf findet sich unmissverständlich der Hinweis, dass der Versicherer die Beweislast für das Verschuldensmaß trägt, welches der zu bildenden Quote zugrunde liegt (Begründung des RegE vom 16.10.2006, S. 173, u.a. einzusehen über www.bmj.bund.de). Würde dem Versicherungsnehmer darüber sogar die gesamte Beweislast auferlegt, wäre der Versicherer im Ausgangspunkt zu einer Kürzung in Höhe von 100 % gerechtfertigt. Hierdurch würde aber der Wille des Gesetzgebers, das Alles-oder-Nichts-Prinzip abzuschaffen, gegenstandslos werden. Zu Recht wird diese Auffassung daher auch in der Literatur nahezu einhellig abgelehnt (vgl. Nugel, Kürzungsquoten nach dem VVG, 2. Aufl. 2012, § 1 Rn 29 m.w.N.). Vielmehr hat auch der BGH entschieden, dass der Versicherungsnehmer bei der Quotenbildung lediglich ihn entlastende Umstände vortragen muss, die der Versicherer sodann (im Rahmen der ihm obliegenden Beweislast) widerlegen muss (BGH, Urt. v. 22.6.2011 – IV ZR 225/10 = zfs 2011, 511 = NJW 2011, 3299). Den Versicherungsnehmer trifft also lediglich eine sekundäre Darlegungslast (LG Kassel, Urt. v. 27.5.2010 – 5 O 2653/09 = zfs 2011, 33; ähnlich LG Hannover, Urt. v. 17.9.2010 – 13 O 153/08 = VersR 2011, 112).
Rz. 15
Es hat daher dabei zu verbleiben, dass der Versicherer die Umstände zu beweisen hat, aus denen sich seine Berechtigung zur Kürzung ergibt. Allerdings ist im Gegenzug zu berücksichtigen, dass es viele Umstände gibt, die für die Bestimmung der Kürzungsquote von Bedeutung sind, und die allein im Wissen des Versicherungsnehmers liegen. Dies gilt insbesondere für innere Umstände, die mit der Willensbildung des Versicherungsnehmers zusammenhängen. In der Rechtsprechung ist es insoweit anerkannt, dass der Versicherungsnehmer die in seinem Wissen liegenden (inneren) Umstände im Rahmen der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast substantiiert zu erläutern und vom Versicherer aufgestellte Behauptungen zu entkräften hat. Erfolgt ein solcher substantiierter Vortrag, ist das Gegenteil sodann vom Versicherer zu beweisen. Dabei sind hohe Anforderungen an die Plausibilität und Glaubhaftigkeit der Darlegung des Versicherungsnehmers zu stellen, um zu verhindern, dass dieser durch nicht überprüfbare Behauptungen eine ungerechtfertigte Leistung erhält.
Beispiel
Der Kaskoversicherer beruft sich auf eine (teilweise) Leistungsfreiheit wegen einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls. Dass es sich dabei um ein grob fahrlässiges Fehlverhalten handelt, hat der Versicherer als Voraussetzung der Kürzung nach § 81 VVG zu beweisen. Steht eine grobe Fahrlässigkeit jedoch fest und beruft sich der Versicherungsnehmer auf besondere Umstände, welche seine Fahrlässigkeit in einem anderen Licht erscheinen lassen ...