Rz. 419
Beispiel
Die Großmutter (GM) schließt mit dem Versicherer V einen Lebensversicherungsvertrag zugunsten ihres Lieblingsenkels Karl ab: Dieser soll bei ihrem Tode 10.000 EUR als Versicherungssumme erhalten. GM zahlt im Laufe einiger Jahre die Prämien an V. Als sie stirbt, wird sie kraft Testaments von dem Großvater (GV) beerbt.
Als der GV im Nachlass der GM die Versicherungspolice entdeckt, ärgert er sich über die Heimlichkeit der GM. GV wünscht nicht, dass der 15-jährige Karl die Versicherungssumme erhält.
Kann GV die Versicherungssumme an sich ziehen?
Rz. 420
Der Versicherungsnehmer (GM) hat auf der Grundlage des Versicherungsvertrags mit dem Versicherer (V) (Deckungsverhältnis) den Minderjährigen (Karl) als Bezugsberechtigten aus der Lebensversicherung benannt. Mit dem Versicherungsfall, dem Tod des Versicherungsnehmers (GM), erwirbt das Kind Karl den Anspruch gegen den Versicherer auf die Versicherungssumme (§ 159 Abs. 2 VVG).
Im sogenannten Valutaverhältnis – dem Verhältnis des Versicherungsnehmers als Schenkendem (GM) und dem Begünstigten, dem zu Beschenkenden (Karl) – ist eine Schenkung der Versicherungssumme beabsichtigt und in die Wege geleitet.
Selbst wenn der Begünstigte (Karl) von der Lebensversicherung zu seinen Gunsten von dem Versicherungsnehmer (GM) informiert wurde, so ist (noch) kein Schenkungsversprechen als Vertragsangebot zustande gekommen, denn es müsste sonst das Versprechen der Zuwendung der Versicherungssumme notariell beurkundet werden (§ 518 Abs. 1 BGB). Das kommt in der Praxis höchst selten vor.
Rz. 421
Eltern können mittels Lebensversicherungsvertrag zugunsten ihrer geschäftsunfähigen wie beschränkt geschäftsfähigen Kindern eine Schenkung machen, ohne dass gegen das Verbot des In-Sich-Geschäfts nach § 181 BGB verstoßen würde. Diese Norm wird einschränkend dahin interpretiert wird, dass sie unanwendbar ist, wenn das Rechtsgeschäft (Schenkung) nur rechtliche Vorteile für den Minderjährigen bringt (vgl. Rdn 124); das ist bei der Schenkung der Versicherungssumme der Fall. Denn beim Tod des Elternteils, der den Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen hat, erwirbt das begünstigte Kind die Forderung auf die Versicherungssumme gegen den Versicherer (§ 331 BGB). Durch diesen Anfall der Versicherungssumme beim Tod der versicherten Person wird das Schenkungsversprechen gemäß § 518 Abs. 2 BGB geheilt, so dass die Zuwendung bewirkt ist.
Rz. 422
War der Versicherungsnehmer eine andere Person als ein Elternteil, z.B. eine Tante oder die Großmutter, und hat diese die Eltern des durch die Versicherung begünstigten Minderjährigen oder den Minderjährigen selbst, wenn er schon geschäftsbeschränkt war (also nicht mehr geschäftsunfähig), von der Begünstigung durch eine Lebensversicherung in Kenntnis gesetzt, so ist der Schenkungsvertrag, der mangels Beurkundung von Angebot und Annahme (§ 518 Abs. 1 BGB) noch unwirksam war, im Todeszeitpunkt durch den Anfall der Versicherungssumme geheilt worden (§ 518 Abs. 2 BGB) und zustande gekommen (siehe Rdn 419).
Rz. 423
Im Beispiel: Wussten die Eltern als gesetzliche Vertreter des Minderjährigen oder der geschäftsbeschränkte Minderjährige selbst nichts von der Lebensversicherung, die im Beispiel die Großmutter GM zugunsten des Kindes Karl abgeschlossen hatte, dann ist zu Lebzeiten des Versicherungsnehmers GM kein Schenkungsversprechen als Vertrag geschlossen worden, nicht einmal ein formungültiger Vertrag. Zum notwendigen Zustandekommen eines Vertrags bedarf es nämlich der Einigung über die Schenkung, die nach dem Tod des Versicherungsnehmers GM (noch) zustande kommen muss. Aufgrund des gültigen Versicherungsvertrags hat der minderjährige Karl bereits den Anspruch auf die Versicherungssumme nach § 159 VVG erworben. Die von der GM gewollte Zuwendung ist bereits erfolgt (vgl. § 518 Abs. 2 BGB), es fehlt nur noch der Rechtsgrund für die Zuwendung, der gültige Schenkungsvertrag. Die für die Schenkung erforderliche Einigung zwischen GM und Karl kommt dadurch zustande, dass der Versicherer V nach dem Tode der versicherten Person, der GM, das formungültige Angebot zum Schenkungsvertrag als Bote dem begünstigten Karl übermittelt (vgl. § 130 BGB): Der Versicherer V teilt mit, dass zugunsten des Karl von Seiten des Versicherungsnehmers GM die Versicherungsleistung dem Karl zugedacht ist. Der geschäftsbeschränkte Karl selbst oder sein gesetzliche Vertreter nehmen das Schenkungsangebot stillschweigend an (vgl. § 153 BGB), so dass durch den Vertragsschluss ein gültiges Valutaverhältnis zustande kommt. Diese Einigung bedarf nicht der Form der notariellen Beurkundung (§ 518 Abs. 1 BGB), weil die Zuwendung ja bereits erfolgt ist und dieser Umstand die mangelnde notarielle Beurkundung heilt (§ 518 Abs. 2 BGB).
Rz. 424
Weiß der Minderjährige oder sein gesetzlicher Vertreter nichts von dem Lebensversicherungsvertrag zugunsten des Minderjährigen, dann fehlt noch ein (zunächst unwirksames) Schenkungsangebot des Versicherungsnehmers (GM) an das Kind (Karl). Dann kann der Erbe durch Wid...