Rz. 455
Voraussetzung für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung ist, dass der Versicherungsnehmer gefahrerhebliche Umstände kennt, sie dem Versicherer wissentlich verschweigt und dabei billigend in Kauf nimmt, dass der Versicherer sich eine unzutreffende Vorstellung über das Risiko bildet und dadurch in seiner Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrags beeinflusst werden kann. Die arglistige Täuschung erfordert weder eine Bereicherungsabsicht des Versicherungsnehmers noch eine Schädigung des Vermögens des Versicherers. Der Versicherungsnehmer muss vorsätzlich handeln, indem er bewusst und willentlich auf den Entscheidungswillen des Versicherers einwirkt. Bedingter Vorsatz genügt. Zur Arglist gehört die Erkenntnis des Versicherungsnehmers, dass der Versicherer den Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts nicht oder nicht so angenommen hätte. Dies beinhaltet auch die Kenntnis des Versicherungsnehmers von der Unvollständigkeit bzw. Unrichtigkeit seiner eigenen Angaben. Weiter muss die arglistige Täuschung kausal für den Annahmeentschluss des Versicherers geworden sein.
Rz. 456
Den Versicherer trifft die Beweislast für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung durch den Versicherungsnehmer. Dabei reicht der Nachweis der wissentlichen Falschbeantwortung einer Gefahrfrage zum Nachweis der Arglist des Versicherungsnehmers nicht aus. Ein allgemeiner Erfahrungssatz dahingehend, dass von der wissentlichen Falschbeantwortung einer Gefahrfrage auf die Täuschungsabsicht geschlossen werden kann, wird überwiegend nicht anerkannt. Art, Schwere und Zweckrichtung der Falschangaben sind jedoch Indizien für eine solche Absicht. Dies bedeutet, dass dann, wenn schwere Erkrankungen oder erkennbar chronische Erkrankungen oder Krankenhausaufenthalte verschwiegen worden sind, in der Regel ein solches Bewusstsein anzunehmen ist, dagegen beim Verschweigen leichterer Erkrankungen oder solcher, die vom Versicherungsnehmer als solche angesehen werden, der Beweis als nicht geführt angesehen werden muss. Auch die Angabe einer belanglosen Erkrankung bei Verschweigen einer belangvollen Erkrankung kann Indiz für die Arglist sein. Den Versicherungsnehmer trifft bei Vorliegen objektiv falscher Angaben eine sekundäre Darlegungslast, wie und weshalb es zu den objektiv falschen Angaben gekommen ist.
Rz. 457
Kausalität liegt vor, wenn der Versicherer den Vertrag ohne die Täuschung nicht oder nur mit anderem Inhalt abgeschlossen hätte.
Rz. 458
Die arglistige Täuschung kann vom Versicherungsnehmer, von der versicherten Person (§ 156 VVG) sowie von diesen zuzurechnenden dritten Personen begangen werden. Hinsichtlich einer Täuschung durch Dritte ist allerdings § 123 Abs. 2 BGB zu beachten. Die dort genannte Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeit entfällt, wenn die täuschende Person nicht als Dritter i.S.d. § 123 Abs. 2 BGB anzusehen, sondern dem Versicherungsnehmer zuzurechnen ist. Dies ist bei einem Stellvertreter des Versicherungsnehmers sowie bei dessen Verhandlungsgehilfen anzunehmen. Die Regelung des § 20 VVG findet auf die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung keine Anwendung.
Rz. 459
Beispiele für eine arglistige Täuschung in der Lebensversicherung sind folgende Fälle: Verschweigen eines chronischen und über Jahre hinweg medikamentös behandelten Bluthochdrucks; Versicherungsnehmer lässt die vom Versicherer erbetene Untersuchung nicht vom Hausarzt, sondern von einem unbekannten Arzt durchführen; Verharmlosung eines Krankheitsbildes – Angabe witterungsbedingter Erkältungen und Pollenallergie anstatt eines berufsbedingten Asthmaleidens; Verschweigen einer seit sechs Jahren mehrfach aufgetretenen, teils hochfiebrig verlaufenden, auf Rauchen zurückzuführenden Bronchitis; Verschweigen eines mindestens seit fünf Jahren bestehenden Leidens an Magenbeschwerden und Bandscheibenschmerzen und einer Feststellung einer absoluten Arhythmie des Herzens mit Vorhofflimmern; Angabe von Schmerzen im Rücken und Nichterhebung von näheren Befunden durch Hausarzt, obwohl eine medikamentöse und physikalische Behandlung durch den Arzt wegen eines Lendenwirbelsäulensyndroms und eines Präcordialschmerzsyndroms stattgefunden hat; Verschweigen einer – ein Jahr vor Antragstellung stattgefundenen – Bypassoperation bei gleichzeitiger Angabe des Hausarztes wegen einer – zwei Jahre vor Antragstellung stattgefundenen – Routineuntersuchung; Verschweigen eines Suizidversuchs mit nachfolgender ärztlicher Behandlung und einem notwendigen Kuraufenthalt; Verschweigen einer Leberzirrhose; Angabe eines Schwächeanfalls wegen übermäßigen Alkoholkonsums während einer Festlichkeit als Anlass für einen stationären Aufenthalt im Krankenhaus, während die Behandlung tatsächlich wegen eines Alkoholentzugssyndroms nach bereits länger andauerndem Alkoholmissbrauch erfolgt ist; Verneinung der Antragsfrage nach Suchterkrankung bei mehrfacher Behandlung i...