Rz. 415
Der Versicherer kann aus unterschiedlichen Gründen daran gehindert sein, seine Rechte im Fall der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch den Versicherungsnehmer auszuüben. Es kann sich dabei um gesetzliche Ausschlussgründe handeln. Der Ausschluss kann aber auch auf einem Verhalten des Versicherers beruhen. Besonderheiten ergeben sich für die Lebensversicherung aus § 157 VVG.
aa) Kenntnis des Versicherers
Rz. 416
Die Rechte des Versicherers wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch den Versicherungsnehmer sind gem. § 19 Abs. 5 S. 2 VVG ausgeschlossen, wenn der Versicherer den nicht angezeigten Gefahrumstand bzw. die Unrichtigkeit der Anzeige kannte. Erforderlich ist grundsätzlich positive Kenntnis des Versicherers von dem Umstand, der nicht oder nicht richtig angezeigt wurde.
Positive Kenntnis ist gegeben, wenn entweder ein Organ bzw. Organmitglied oder die über den Vertragsschluss entscheidende Stelle über die Kenntnis verfügt. Dabei müssen aktenmäßig in Datenbanken festgehaltene Informationen abgerufen werden, soweit zu einer solchen Abfrage Anlass besteht. Fraglich ist, ob man in der Lebensversicherung eine routinemäßige Abfrage oder einen Anlass zum Abrufen hinsichtlich solcher Informationen annehmen muss, die in einer zentralen Datei erfasst sind, in der Anträge enthalten sind, die von den Versicherern abgelehnt oder mit Beitragszuschlägen versehen wurden.
Rz. 417
Die Frage der Wissenszurechnung bei konzernverbundenen Unternehmen wird im VVG ausdrücklich offen gelassen und insoweit auf die bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung verwiesen. Die Kenntnis eines konzernverbundenen Versicherers gelangt dem Lebensversicherer danach grundsätzlich nicht zur Kenntnis, und zwar selbst dann nicht, wenn der Antragsteller mit einer Einsichtnahme in die Unterlagen des anderen Versicherers einverstanden war. Etwas anderes soll gelten, wenn der Versicherer Kenntnisse über eine Datenbank eines verbundenen Schwesterunternehmens erlangen kann und Veranlassung hatte, diese Daten abzurufen. Ob eine Kenntniszurechnung zu Lasten des Lebensversicherers auch vorzunehmen ist, wenn der Versicherungsnehmer die anzeigepflichtigen Umstände mit einem für den Lebens- und Krankenversicherer gleichzeitig tätig werdenden Versicherungsvertreter erörtert hat, wird nicht einheitlich beurteilt.
Rz. 418
Ist der Versicherungsvertreter selbst Versicherungsnehmer, so kommt es für die Kenntnis der unrichtigen Gesundheitsangaben nicht auf das Wissen des unmittelbaren Vorgesetzten des Versicherungsnehmers oder der Personalabteilung des Versicherers an, wenn diese mit der Bearbeitung des Antrags nicht befasst sind.
bb) Ausschluss wegen unterlassener Rückfrage oder Risikoprüfung
Rz. 419
Über den Fall der positiven Kenntnis des Versicherers hinaus können die Rechte des Versicherers wegen der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht nach der Rechtsprechung auch dann ausgeschlossen sein, wenn der Versicherer eine ihm obliegende Rückfrage unterlässt und damit von einer ordnungsgemäßen Risikoprüfung absieht. Eine Nachfrageobliegenheit des Versicherers besteht immer dann, wenn der Antragsteller bei Antragstellung ersichtlich unvollständige oder unklare Angaben macht. Unklare Angaben liegen insbesondere vor bei einer offensichtlichen Diskrepanz der Angabe des Antragstellers. Kommt der Versicherer dieser Obliegenheit nicht nach, sind die Rechte des Versicherers wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht nach § 19 VVG ausgeschlossen. Erfolgt eine Nachfrage des Versicherers und gibt der Versicherungsnehmer daraufhin an, eine – angegebene – "Colitis" sei ausgeheilt, besteht kein Anlass für den Versicherer, die Richtigkeit dieser Bestätigung zu recherchieren. Das mag anders sein, wenn der Versicherungsnehmer eine fortdauernde Medikation angibt.
Rz. 420
Eine Nachfrage des Versicherers beim Versicherungsnehmer soll in der Lebensversicherung beispielsweise erforderlich sein, wenn ein Versicherungsnehmer bei Abschluss eines Lebensversicherungsvertrags mit Berufsunfähigkeitsschutz gegenüber dem Versicher...