Rz. 349
Mit der Deregulierung im Jahr 1994 wurde die Bestimmung zum Rückkaufswert in § 176 Abs. 1 VVG a.F. neu gefasst. Die Neuregelung sah vor, dass der Versicherer bei Aufhebung einer Kapitalversicherung für den Todesfall, bei der der Eintritt der Verpflichtung des Versicherers zur Zahlung des vereinbarten Kapitals gewiss ist, durch Kündigung, Rücktritt oder Anfechtung den auf die Versicherung entfallenden Rückkaufswert zu erstatten hat. Der Begriff Rückkaufswert wurde in § 176 Abs. 4 VVG a.F. gesetzlich definiert. Der Rückkaufswert ist danach nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode als Zeitwert der Versicherung zu berechnen, wobei Prämienrückstände vom Rückkaufswert abgesetzt werden.
Rz. 350
Die Auszahlung des Rückkaufswertes im Fall der Kündigung wurde in § 6 Abs. 3 der Musterbedingungen des GDV für die kapitalbildende Lebensversicherung (ALB 94) daraufhin wie folgt geregelt:
Zitat
"Nach § 176 VVG haben wir nach Kündigung – soweit bereits entstanden – den Rückkaufswert zu erstatten. Er wird nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode als Zeitwert Ihrer Versicherung berechnet, wobei ein als angemessen angesehener Abzug in Höhe von … erfolgt. Beitragsrückstände werden von dem Rückkaufswert abgesetzt."
Rz. 351
Der BGH entschied in zwei Urteilen vom 9.5.2001, dass die vorstehende Bestimmung unwirksam ist. Ebenso verwarf der BGH die Bestimmungen zur Berechnung der beitragsfreien Versicherungssumme und zur Erhebung und Verrechnung von Abschlusskosten als intransparent. Welche Rechtsfolgen sich hieraus ergeben, hat der BGH in diesen Urteilen zunächst offen gelassen. Die Lebensversicherungsunternehmen haben in der Folgezeit reagiert und ihre Versicherungsbedingungen für das Neugeschäft entsprechend diesen Urteilen geändert. Darüber hinaus haben sie für den Bestand die unwirksamen Klauseln im Wege des Treuhänderverfahrens nach § 172 Abs. 2 VVG a.F. durch materiell inhaltsgleiche transparente Klauseln ersetzt.
Rz. 352
Mit Urteilen vom 12.10.2005 entschied der BGH, dass die von den Lebensversicherungsunternehmen durchgeführte Ersetzung der durch die BGH-Urteile vom 9.5.2001 für unwirksam erklärten Klauseln durch inhaltsgleiche, transparente Klauseln unwirksam sei. Das Scheitern der Vertragsergänzung nach § 172 Abs. 2 VVG a.F. führte allerdings nicht dazu, dass dem beklagten Versicherer erneut die Gelegenheit gegeben wurde, ein neues Verfahren nach § 172 Abs. 2 VVG a.F. durchzuführen. Vielmehr entschied der BGH abschließend: Nach den Maßstäben des § 306 Abs. 2 BGB ergibt sich laut BGH zum einen, dass der Stornoabzug entfällt, und zum anderen, dass die beitragsfreie Versicherungssumme und der Rückkaufswert bei Kündigung einen Mindestbetrag nicht unterschreiten dürfen. Dieser Mindestbetrag entspreche der Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals. Gemäß Urteil des BGH vom 26.6.2013 bedeutet ungezillmertes Deckungskapital in diesem Sinne, dass das Deckungskapital ohne jede Berücksichtigung von Abschlusskosten zu ermitteln ist.
Rz. 353
Beachte
Die Intransparenz der unwirksamen Klausel zum Rückkaufswert kann im Einzelfall durch eine individuelle Aufklärung des Versicherungsnehmers geheilt werden. Eine Heilung der Intransparenz kann nach Ansicht des OLG Stuttgart dann angenommen werden, wenn dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung ein Versicherungsverlauf vorgelegt wurde, dem die Rückkaufswerte für sämtliche Versicherungsjahre zu entnehmen sind. Könne einer solchen Tabelle entnommen werden, dass in den ersten vier Versicherungsjahren nahezu kein Rückkaufswert zu erwarten sei, würden dadurch die durch die beanstandeten Klauseln und die dem Versicherungsschein beigefügte Garantiewertetabelle entstandenen Informationsdefizite in Bezug auf die durch die Konsequenzen des Zillmerverfahrens entstandenen wirtschaftlichen Nachteile bei frühzeitiger Kündigung ausgeglichen. Es stellt sich dann allerdings die Frage einer unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers aufgrund der Verrechnung von Abschlusskosten (siehe Rdn 358).
Rz. 354
Wird der Versicherungsvertrag hingegen vereinbarungsgemäß bis zum Ablauf fortgeführt, führt die seitens des BGH vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung dazu, dass es bei der Verrechnung der Kosten bleibt. Korrekturen seien nur bei vorzeitiger Beendigung des Vertrags vorzunehmen.
Rz. 355
Mit Urt. v. 26.9.2007 entschied der BGH, dass die Grundsätze der BGH-Urteile vom 12.10.2005 auch auf fondsgebundene Lebensversicherungen anzuwenden sind. Bei fondsgebundenen Lebensversicherungsverträgen sei jedoch nicht die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals für die Bestimmung des Mindestrückkaufswertes maßgebend, sondern die Hälfte des ungezillmerten Fondsguthabens.
Beachte
Die Feststellung des BGH, dass die Grundsätze der BGH-Urteile v. 12.10.2005 auch auf fondsgebundene Lebensversicherungen anzuwenden sind, bezieht sich nur auf gezillmerte fondsge...