Rz. 408
Für die Feststellung einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht stellt sich schließlich die Frage, ob der Versicherungsnehmer die ihm bekannten gefahrerheblichen Umstände dem Versicherer auch wirklich angezeigt hat.
Rz. 409
Erklärungsempfänger sind insoweit der Versicherer, dessen Organe und Angestellte. Gemäß § 69 Abs. 1 Nr. 1 VVG hat auch der Versicherungsvertreter eine Empfangsvollmacht für vorvertragliche Anzeigen des Versicherungsnehmers oder diesem gleichgestellte Personen. Soweit der Versicherungsvertreter in diesem Zusammenhang Kenntnis von bestimmten Gefahrumständen erlangt, steht seine Kenntnis der Kenntnis des Versicherers gleich (§ 70 S. 1 VVG). Er ist in diesem Zusammenhang "Auge und Ohr" des Versicherers. Alles, was der Versicherungsvertreter vom Versicherungsnehmer oder einem Dritten angezeigt bekommt, ist danach auch zur Kenntnis des Versicherers gelangt. Der Versicherer kann sich dementsprechend nicht auf eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung berufen, wenn der Versicherungsvertreter mit dem Versicherungsnehmer allgemein über dessen Gesundheitszustand gesprochen hat, sich den Versicherungsantrag dann blanko hat unterschreiben lassen und anschließend die Gesundheitsfragen falsch beantwortet hat. Privates Wissen des Versicherungsvertreters genügt für eine Zurechnung der Kenntnis des Versicherungsvertreters jedoch nicht. Entsprechend stellt § 70 S. 2 VVG klar, dass dem Versicherer dasjenige Wissen des Versicherungsvertreters nicht zugerechnet werden kann, dass dieser außerhalb seiner Tätigkeit als Versicherungsvertreter ohne Zusammenhang mit dem betreffenden Versicherungsvertrag erlangt hat. Dem Versicherer ist vor diesem Hintergrund nur solches Wissen eines Versicherungsvertreters zurechenbar, dass dieser gerade im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der konkreten Antragstellung erlangt hat. Die Zurechnung der Kenntnis des Versicherungsvermittlers setzt voraus, dass dieser bei der Entgegennahme des Antrags in Ausübung der Stellvertretung für den Versicherer tätig geworden ist. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Versicherungsvermittler dem Versicherer bei der Antragstellung als rechtsgeschäftlicher Vertreter des Versicherungsinteressenten gegenübertritt.
Rz. 410
Beauftragt der Versicherer einen Arzt mit der Erstellung eines Gesundheitszeugnisses, muss er sich dessen Kenntnis von dem jeweiligen Gesundheitszustand der zu untersuchenden versicherten Person zurechnen lassen. Dies gilt jedoch nicht für Wissen, das der Arzt aus früheren Untersuchungen oder Behandlungen erlangt hat. Die Erfüllung des dem Arzt vom Versicherer erteilten Auftrags beschränke sich auf die bloße Untersuchung der zukünftigen versicherten Person sowie die Mitteilung der dabei gewonnenen Befunde. Eine weitergehende – umfassende – Informationspflicht des Arztes gegenüber dem Versicherer bestehe nicht. Hat ein Arzt der versicherten Person die Gesundheitserklärungen in das Formular des Versicherers eingetragen und ist dies vom Versicherungsnehmer unterschrieben worden, handelt es sich um eine Erklärung des Versicherungsnehmers, die einer Zurechnung nicht bedarf, weil der antragstellende Versicherungsnehmer sie sich zu eigen gemacht hat.
Rz. 411
Die Zurechnung des Wissens des Versicherungsvertreters zugunsten des Versicherers kann nicht durch eine Regelung in den Versicherungsbedingungen ausgeschlossen werden. Dies wird durch § 72 VVG nunmehr ausdrücklich klargestellt.
Rz. 412
§ 73 VVG stellt klar, dass die gesetzlichen Regelungen zur Wissenszurechnung auf Angestellte eines Versicherers, die mit der Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen betraut sind, und auf Personen, die als Vertreter selbstständig Versicherungsverträge vermitteln oder abschließen, ohne gewerbsmäßig tätig zu sein, entsprechend anzuwenden sind.
Rz. 413
Beachte
Die Kenntnis des Versicherungsvertreters ist dem Versicherer dann nicht zuzurechnen, wenn entweder ein kollusives Zusammenwirken mit dem Versicherungsnehmer oder ein evidenter Missbrauch der Vertretungsmacht durch den Versicherungsvertreter vorliegt. Ein kollusives Zusammenwirken ist gegeben, wenn der Versicherungsnehmer im Bewusstsein der Anzeigeobliegenheit erkennt und billigt, dass der Versicherer durch das Vorgehen des Versicherungsvertreters über seinen Gesundheitszustand getäuscht und dadurch in seiner Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrags beeinflusst wird und er deshalb – im Einvernehmen mit dem Versicherungsvertreter – will, dass die betreffende Erkrankung im Antragsformular unerwähnt bleibt. Ein kollusives Zusammenwirken hat die Rechtsprechung in folgenden Fällen angenommen: Der Versicherungsnehmer gibt auf die vom Versicherungsvertreter komplett gestellten Gesundheitsfragen wahrheitsgemäß mehrere schwere Erkrankungen bzw. Operationen sowie das Bestehen von Erwerbsunfähigkeit an. Der Versicherungsvertreter gibt dem Versicherungsnehmer zu verstehen, bei so kleinen Lebensversiche...