Rz. 425
Gemäß § 21 Abs. 1 VVG stehen dem Versicherer die Rechte nach § 19 Abs. 2–4 VVG nur zu, wenn er die ihm zustehenden Rechte innerhalb einer Frist von einem Monat schriftlich geltend macht. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherer von der Verletzung der Anzeigepflicht, die das von ihm geltende gemachte Recht begründet, Kenntnis erlangt (§ 21 Abs. 1 S. 2 VVG). Dabei muss der Versicherer bei der Ausübung seiner Rechte die Umstände angeben, auf die er seine Erklärung stützt (§ 21 Abs. 1 S. 3 VVG).
Rz. 426
Die Monatsfrist nach § 21 Abs. 1 VVG beginnt nicht bereits mit dem Zugang des Schriftstücks, aus dem sich die Verletzung der Anzeigepflicht ergibt, bzw. mit der Kenntniserlangung von der Verletzung der Anzeigepflicht selbst, sondern erst mit dem Zeitpunkt, in welchem der Versicherer Kenntnis vom Vorliegen der Voraussetzungen des jeweiligen Gestaltungsrechts erlangt. Für den Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist der Versicherungsnehmer oder Bezugsberechtigte beweisbelastet. Dies beinhaltet die Kenntnis, dass dem Versicherungsnehmer der nicht oder nicht richtig angezeigte Umstand bei Vertragsabschluss bekannt war. Sichere Kenntnis des Versicherers für die Ausübung der Rechte nach § 19 Abs. 2–4 VVG und für den Beginn der Monatsfrist nach § 21 Abs. 1 VVG setzt auch die Kenntnis darüber voraus, dass der Versicherungsnehmer seinerseits Kenntnis von dem verschwiegenen Umstand hatte. Das Verschulden des Versicherungsnehmers und die Kausalität sind Bestandteil der fristauslösenden Kenntnis, nicht dagegen die wirtschaftlichen Auswirkungen des vom Versicherungsnehmer verschwiegenen Umstandes. Erforderlich ist die sichere und zuverlässige Kenntnis. Der Versicherer ist nicht gehalten, seine Rechte nach § 19 Abs. 2–4 VVG auf einen bloßen Verdacht hin auszuüben. Die Frist nach § 21 Abs. 1 VVG beginnt erst dann zu laufen, wenn sich dem Versicherer aufgrund des ihm vorliegenden Tatsachenmaterials aufdrängen muss, dass ein Recht nach § 19 Abs. 2–4 VVG besteht und er die dann gebotene Aufklärung nicht mit Nachdruck betreibt. Eine bloß routinemäßige Rückfrage ohne konkrete Verdachtsmomente ist nicht fristauslösend. In der Lebensversicherung ist dieser Grad der Kenntnis in der Regel erst mit Erhalt der Auskünfte der behandelnden Ärzte gegeben. Die Kenntnis des Versicherers liegt vor, wenn der zuständige Sachbearbeiter die entsprechende Kenntnis erlangt. Nicht ausreichend ist beispielsweise, dass die Führungskraft des Versicherungsnehmers, der als Versicherungsvertreter bei dem Versicherer tätig ist, oder die Personalabteilung entsprechende Kenntnisse hat; eine Überprüfungspflicht besteht insoweit nicht. Der Versicherer muss sich allerdings auch in diesem Zusammenhang die Kenntnis seines Versicherungsvertreters bzw. eines von ihm mit der Untersuchung der versicherten Person beauftragten Arztes zurechnen lassen. Die Speicherung der Daten im Computer steht der Kenntnis gleich, soweit Anlass besteht, die Daten abzurufen. Ein solcher Anlass sei gegeben, wenn der Versicherungsnehmer hinreichend deutlich auf das Vorhandensein der Daten hingewiesen hat.
Rz. 427
Beachte
Der Versicherer darf die Monatsfrist nach § 21 Abs. 1 VVG nicht dadurch unterlaufen, dass er gebotene Rückfragen unterlässt oder zurückstellt; er hat sie vielmehr in angemessener Zeit durchzuführen. Was als angemessene Zeit anzusehen ist, lässt sich nicht allgemein, sondern nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bestimmen. Verwehrt ist dem Versicherer ein Verhalten, das durch Nachlässigkeit oder von Missbrauchsabsicht gekennzeichnet ist.
Rz. 428
Liegen mehrere Umstände vor, die für sich gesehen jeweils ein Recht des Versicherers nach § 19 Abs. 2–4 VVG begründen können, laufen auch unterschiedliche Monatsfristen. Dies ergibt sich aus § 21 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 VVG. Danach darf der Versicherer nachträglich weitere Umstände zur Begründung angeben, wenn für diese die Monatsfrist noch nicht verstrichen ist. Ist jedoch beispielsweise der Rücktritt wegen der Verletzung der Anzeigepflicht in Bezug auf einen Herzinfarkt verfristet, kann der Versicherer seinen Rücktritt nicht darauf stützen, dass die Frist hinsichtlich der ebenfalls zum Rücktritt berechtigenden Anzeigepflichtverletzung in Bezug auf das entsprechende Vorstadium (Angina pectoris) noch nicht abgelaufen sei.