1. Allgemeines

 

Rz. 276

Ein Lebensversicherungsvertrag kann durch Ausübung verschiedener Gestaltungsrechte aufgehoben werden. Die Auflösung des Versicherungsvertrages durch den Versicherer ist dabei auf bestimmte gesetzlich geregelte Fälle begrenzt. Einen Lebensversicherungsvertrag mit einem Versicherungsnehmer, der die ihm obliegenden Pflichten erfüllt (hat), kann der Versicherer grundsätzlich nicht beenden. Dagegen steht dem Versicherungsnehmer bei einem Lebensversicherungsvertrag gegen laufende Prämienzahlung in der Ansparphase jederzeit die Möglichkeit offen, den Vertrag aufzulösen. In der Regel hat er dabei jedoch finanzielle Nachteile in Kauf zu nehmen.

 

Rz. 277

 

Beachte

Sämtliche Fälle der vorzeitigen Beendigung bzw. rückwirkenden Aufhebung einer Lebensversicherung durch den Versicherungsnehmer setzen eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Versicherungsnehmers voraus. Empfangsberechtigt ist insoweit nach § 69 Abs. 1 Nr. 2 VVG auch der auf seiten des Versicherers stehende Versicherungsvertreter, so dass für den Versicherer bestimmte Willenserklärungen mit Zugang bei dem Vertreter wirksam werden. Diese Empfangsvollmacht des Versicherungsvertreters kann – anders als nach dem VVG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung – nicht durch die Versicherungsbedingungen abbedungen werden (vgl. § 72 VVG).

2. Widerrufs-, Widerspruchs- und Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers

 

Rz. 278

Dem Versicherungsnehmer steht abhängig vom Zeitpunkt und der Art des Vertragsschlusses seit dem 1.1.1991 ein gesetzliches Widerrufs-, Widerspruchs- oder Rücktrittsrecht zu.

 

Rz. 279

Voraussetzung für einen wirksamen Widerruf, Widerspruch oder Rücktritt ist, dass der Versicherungsnehmer den Widerruf, Widerspruch oder Rücktritt wirksam innerhalb der hierfür jeweils geltenden Frist erklärt hat. Eine wirksame Erklärung des Widerrufs, Widerspruchs oder Rücktritts setzt eine Erklärung des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer in der jeweils im Gesetz vorgesehenen Form voraus, aus der hervorgeht, dass der Versicherungsnehmer rückwirkend nicht mehr an den Versicherungsvertrag gebunden sein will und die Rückzahlung seiner Prämien verlangt. Dafür ist nicht erforderlich, dass der Versicherungsnehmer in seiner Erklärung das Wort "Widerruf", "Widerspruch" oder "Rücktritt" verwendet. Entscheidend ist vielmehr, dass in der Erklärung des Versicherungsnehmers der unbedingte Wille zum Ausdruck kommt, sich rückwirkend vom Vertrag lösen und die Rückzahlung sämtlicher Prämien geltend machen zu wollen.[380] Daher könne eine unzulässige Widerspruchserklärung als Rücktrittserklärung ausgelegt werden.[381] Der Widerruf, Widerspruch oder Rücktritt muss keine Begründung enthalten.

[380] BGH v. 28.9.2016 – IV ZR 41/14, VersR 2016, 1483, 1484; BGH v. 29.6.2016 – IV ZR 24/14, r+s 2016, 556; BGH v. 17.12.2014 – IV ZR 260/11, VersR 2015, 224 = NJW 2015, 1023.
[381] BGH v. 25.1.2017 – IV ZR 173/15, r+s 2017, 126, 127.

a) Widerrufsrecht bei Versicherungsverträgen mit Vertragsschluss zwischen dem 1.1.1991 und dem 28.7.1994/31.12.1994

 

Rz. 280

Mit dem Gesetz zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften vom 17.12.1990[382] wurde ein gesetzliches Widerrufsrecht für Lebensversicherungsverträge in § 8 Abs. 4 VVG a.F. eingefügt. Der Versicherungsnehmer war danach berechtigt, seine auf Vertragsabschluss gerichtete Willenserklärung innerhalb einer Frist von zehn Tagen ab Unterzeichnung des Versicherungsantrags zu widerrufen. Mit Urt. v. 16.10.2013[383] hat der BGH zur Widerrufsbelehrung nach § 8 Abs. 4 VVG a.F. entschieden, dass – auch wenn § 8 Abs. 4 VVG a.F. keine Form der Widerrufsbelehrung vorschreibt – eine Widerrufsbelehrung nur dann wirksam ist, wenn sie den Versicherungsnehmer auf sein Widerrufsrecht aufmerksam macht und diesen hinreichend über sein Widerrufsrecht belehrt. Im Fall einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung beginnt das Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers nicht zu laufen.[384] Allerdings erlischt das Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers nach §§ 7 Abs. 1 S. 3 VerbrKrG, 2 Abs. 1 S. 4 HWiG analog mit beiderseitiger vollständiger Leistungserbringung vor Ablauf des 31.12.2002.[385] Da eine analoge Anwendung dieser Regelungen nach Außerkrafttreten nicht mehr in Betracht kommt, führt eine beiderseitige vollständige Leistungserbringung nach Ablauf des 31.12.2002 nicht zu einem Erlöschen des Widerrufsrechts.[386]

[382] BGBl I 1990, S. 2864.
[383] BGH v. 16.12.2013 – IV ZR 52/12, VersR 2013, 1513, 1514 = NJW 2013, 3776, 3777.
[384] BGH v. 20.7.2016 – IV ZR 166/12, BeckRS 2016, 13783.
[385] BGH v. 16.12.2013 – IV ZR 52/12, VersR 2013, 1513, 1515 = NJW 2013, 3776, 3778.
[386] BGH v. 20.7.2016 – IV ZR 166/12, BeckRS 2016, 13783.

b) Rücktrittsrecht bei Versicherungsverträgen mit Vertragsschluss zwischen dem 29.7.1994/1.1.1995 und dem 31.12.2007

 

Rz. 281

Mit Wirksamkeit zum 29.7.1994 wurde die Regelung in § 8 Abs. 5 VVG a.F. eingefügt, die dem Versicherungsnehmer bei einem Lebensversicherungsvertrag das Recht einräumt, innerhalb einer Frist von vierzehn Tagen nach Abschluss vom Vertrag zurückzutreten. Mit Wirksamkeit zum 8.12.2004 wurde die Rücktrittsfrist in der Lebensversicherung von 14 auf 30 Tage verlängert.[387] Dieses Rücktrittsrecht galt nur dann, wenn der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen und die Verbrauch...

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