Sabine Jungbauer, Dipl.-Ing. Werner Jungbauer
Rz. 1
Bevor eine Postausgangskontrolle durchgeführt wird, sind weitere Prüfschritte bereits vor dem Signieren und vor dem Versand erforderlich. Wer mit den Arbeitsabläufen in Anwaltskanzleien und der bisherigen Rechtsprechung des BGH vertraut ist, hatte schon geahnt, dass der BGH möglicherweise bei der Versendung elektronischer Dokumente teilweise andere Maßstäbe anlegen würde, als dies bei einer Übermittlung per Fax oder in Briefform der Fall ist. In früheren Zeiten wurden Schriftsätze einem Anwalt in einer Unterschriftenmappe vorgelegt. Das Dokument lag damit als Schriftstück vor der Unterzeichnung geöffnet vor. Im elektronischen Zeitalter werden Schriftsätze häufig durch Mitarbeiter und nicht durch den Anwalt selbst im beA hochgeladen. So dauerte es auch nicht lange nach Einführung der Pflicht zur elektronischen Einreichung, bis der BGH entschied, dass ein "blindes Signieren" durch den Rechtsanwalt mit anschließendem Versand durch einen Mitarbeiter nicht wiedereinsetzungskonform ist. Deutlich hielt er fest, dass die Kontrolle der Vollständigkeit und Richtigkeit des Schriftsatzes nicht auf Mitarbeiter übertragen werden kann.
Zitat
"Bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokumentes gehört es zu den nicht auf das Büropersonal übertragbaren Pflichten eines Rechtsanwalts, das zu signierende Dokument zuvor selbst sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen."
Rz. 2
Was war vorliegend geschehen?
Ein klassischer Fehler, wie er in jeder Kanzlei tagtäglich vorkommen kann. Eine Mitarbeiterin sollte eine Berufungsbegründung im beA hochladen, die von der Anwältin qualifiziert elektronisch signiert und sodann durch die Mitarbeiterin abgesendet werden sollte. Der Anwältin fiel jedoch bei der fünfseitigen Berufungsbegründung auf, dass auf der ersten Seite ein kleiner Tippfehler enthalten war und wies ihre Sekretärin an, diesen auszubessern und die Berufungsbegründung sodann abschließend zur Signatur wieder ins beA einzustellen. Die Mitarbeiterin hatte nach Ausbesserung die geänderte Seite für die Papierhandakte ausgedruckt und anschließend das Word-Dokument in ein PDF-Dokument umgewandelt, um es in die Anwaltssoftware zur Signierung einzustellen. Hier hatte das Programm – von der ansonsten sehr zuverlässigen, geschulten und erfahrenen Sekretärin unerkannt – bei dem "Print-to-PDF-Vorgang" die Einstellung des vorangegangenen Druckvorgangs (Ausdruck nur der ersten Seite) übernommen.
Rz. 3
Die Anwältin öffnete vor dem (erneuten) Signaturvorgang den Schriftsatz und überprüfte die (erfolgreiche) Umsetzung der Anweisung durch die Mitarbeiterin. Die zuständige Anwältin schloss sodann das Dokument, ohne zu registrieren, dass aufgrund einer fehlerhaften Druckeinstellung lediglich eine Seite als PDF-Dokument erzeugt und hochgeladen worden war anstelle des gesamten Schriftsatzes mit fünf Seiten und signierte qualifiziert elektronisch. Die Mitarbeiterin übermittelte das Dokument via beA an das Gericht. Die Einreichung war somit nicht wirksam. Im Wiedereinsetzungsantrag wurde vorgetragen, die Anwältin habe davon ausgehen dürfen, dass der Schriftsatz wie zuvor vollständig eingestellt worden sei. Denn bei der ersten Einstellung in das beA zur Signierung hatte die Anwältin die Vollständigkeit und Richtigkeit des Schriftsatzes überprüft. Dies aber hielt der BGH nicht für ausreichend. Denn der einmal erfolgte Prüfvorgang des hochgeladenen Dokuments muss nach Ansicht des BGH zwingend wiederholt werden, wenn an dem Dokument Änderungen vorgenommen werden und es noch einmal komplett neu zum Signieren eingestellt wird.
Rz. 4
Die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde versagt, die Berufung verworfen, auch die fristgerecht eingelegte statthafte Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des BGH war nicht glaubhaft gemacht worden, dass das Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Partei gem. § 85 Abs. 2 ZPO nicht zuzurechnen wäre.
Rz. 5
Der BGH führte hierzu aus:
Zitat
"a) Es gehört zu den Aufgaben eines Verfahrensbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Dabei gehört die Erstellung fristwahrender Rechtsmittel oder Rechtsmittelbegründungen zu den Aufgaben, die ein Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit selbst sorgfältig zu überprüfen (BGH, Beschlüsse vom 5.5.2021 – XII ZB 552/20, NJW-RR 2021, 998 Rn 14; vom 16.9.2015 – V ZB 54/15, NJW-RR 2016, 126 Rn 9; vom 22.7.2015 – XII ZB 583/14, WM 2016, 142 Rn 12). Ein Rechtsanwalt handelt daher schuldhaft, wenn er eine Rechtsmittelbegründungsschrift unterschreibt, ohne sie zuvor auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen (vgl. BGH, Beschl. v. 6.5.1992 – XII ZB 39/92, VersR 1993, 79, juris Rn 2)."
Rz. 6
Nach Ansicht des BGH gilt dies auch dann, wenn ein Schriftsatz zum zweiten ...