Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 156
Die Sperre, nach der ein Ausgleich der während der Ehe entstandenen Versorgungsnachteile regelmäßig bereits über den Versorgungsausgleich ausgeglichen worden ist, findet naturgemäß keine Anwendung mehr, wenn die Versorgungsnachteile zwar kausal auf Entwicklungen und Umstände vor der rechtskräftigen Scheidung zurückzuführen sind, sich aber erst danach auswirken. Solche Nachteile können daher durchaus im Rahmen der Billigkeitsabwägung nach § 1578b BGB Bedeutung erlangen. Sie müssen aber zumindest mittelbar ehebedingt sein, also Folgen der konkreten Lebensgestaltung während der Ehe.
Rz. 157
Ein solcher Nachteil ist anzuerkennen, wenn die Berechtigte – mittelbar aufgrund der ehebedingten Entwicklungen – im Zeitraum nach der Scheidung keine Beschäftigungschance für eine angemessene Erwerbstätigkeit mehr hatte und damit auch für diesen Zeitraum auch keine – weiteren – Versorgungsanrechte erzielen konnte. Entsprechendes gilt, wenn sie aufgrund der Berufsunterbrechung in der Ehezeit auch nach der Scheidung ein geringeres Einkommen erzielt und somit auch nur geringere Leistungen in ihr Rentenkonto erfolgen.
Rz. 158
Praxistipp:
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Diese Nachteile in der Versorgungsbilanz der Berechtigten sind zwar durch Umstände während der Ehe ausgelöst, treten aber erst nach der Scheidung ein. |
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Durch den Versorgungsausgleich können aber nur Versorgungsnachteile ausgeglichen werden, die während der Ehezeit eintreten. |
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Daher müssen entsprechende Versorgungsnachteile, die erst nach der Scheidung und damit in einem nicht mehr vom Versorgungsausgleich erfassten Zeitraum – eintreten, unterhaltsrechtliche Berücksichtigung finden. |
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Der Versorgungsnachteil muss ggf. konkret berechnet werden. |
Rz. 159
Diese Nachteile in der Versorgungsbilanz können aber durch Zahlung von Vorsorgeunterhalt (für diesen nachehelichen Zeitraum) kompensiert werden.
Rz. 160
Rz. 161
Besonders praxisrelevant ist aber die Klarstellung des BGH, dass auch dann unterhaltsrechtlich kein Nachteil anzuerkennen ist, wenn die Berechtigte für diesen Zeitraum Vorsorgeunterhalt hätte erlangen können.
Rz. 162
Rz. 163
BGH, Beschl. v. 4.7.2018 – XII ZB 122/17
Zitat
Ein ehebedingter Nachteil, der darin besteht, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte auch nachehelich geringere Versorgungsanrechte erwirbt, als dies bei hinweggedachter Ehe der Fall wäre, ist grundsätzlich als ausgeglichen anzusehen, wenn er für diese Zeit Altersvorsorgeunterhalt zugesprochen erhält oder jedenfalls erlangen kann.
Rz. 164
Praxistipp:
Abgestellt wird damit schon auf die Möglichkeit der Geltendmachung. Wer diese Möglichkeit nicht nutzt, kann sich daher nicht auf einen ehebedingten Nachteil berufen.
Es wird somit letztlich ein fiktiv gezahlter Vorsorgeunterhalt als ausgleichend berücksichtigt.
Eine solche Kompensation scheidet allerdings aus, wenn der Pflichtige Vorsorgeunterhalt gar nicht hätte leisten können. Dies muss ggf. rückwirkend für längere Zeiträume festgestellt werden. Daraus ergeben sich erhebliche Berechnungsschwierigkeiten.
Rz. 165
Praxistipp:
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Konsequenz dieser Entscheidung ist, dass in der anwaltlichen Praxis verstärkt auch auf die Durchsetzung von Altersvorsorgeunterhalt geachtet werden muss (siehe Rdn 85). |
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Denn die Unterhaltsberechtigte wird wenig Verständnis zeigen, wenn ihr das Gericht im Unterhaltsrechtsstreit einen unbegrenzten Aufstockungsunterhalt verweigert mit der Begründung, dass sie neben dem Elementarunterhalt hätte Vorsorgeunterhalt beanspruchen können. Hier lauert eine Haftungsfalle! |
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Der Anwalt der Unterhaltsberechtigten macht sich regresspflichtig, wenn diese nicht auf die Möglichkeit der Geltendmachung von Altersvorsorgeunterhalt hingewiesen wird. |
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Rückwirkend kann Altersvorsorgeunterhalt nur verlangt werden, wenn der Unterhaltspflichtige in Verzug gesetzt worden ist. Es reicht aber aus, dass vom Unterhaltspflichtigen Auskunft mit dem Ziel der Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs begehrt worden ist. Eine gesonderte Auskunftsaufforderung bezogen auf Altersvorsorgeunterhalt ist also nicht erforderlich. |
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Wird allerdings der Anspruch beziffert, ohne auch Vorsorgeunterhalt zu verlangen oder zumindest vorzubehalten, ist später eine rückwirkende Nachforderung i.d.R. ausgeschlossen. Es kann lediglich der Vorsorgeunterhalt für die Zukunft noch geltend gemacht werden. |
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Ist bereits ein Titel über den Unterhalt ergangen, in dem kein Vorsorgeunterhalt tituliert worden ist, ist eine rückwirkende Nachforderung ebenfalls ausgeschlossen. |
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Soll in diesem Fall Vorsorgeunterhalt für die Zukunft geltend gemacht werden, handelt sich dabei um die Abänderung des früheren Unterhaltstitels. Der BGH betont jedoch, dass eine wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse (§ 238 Abs. 1 Satz 2 FamFG) nicht allein mit dem nachträglich gefassten Entschluss begründet werden kann, nunmehr auch einen – im Erstverfahren möglicherweise "vergessenen" – Altersvorsorgebedarf geltend machen zu wollen. Erst wenn eine Anpassung d... |