Dr. iur. Wolfram Viefhues
a) Allgemeines
Rz. 290
Wer Unterhalt beansprucht, muss – so die allgemeinen unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten – auf die Vermögensinteressen des Pflichtigen Rücksicht nehmen. Der den Unterhalt geltend machende Ehegatte muss demnach alles unterlassen, was dem anderen Ehegatten die Erfüllung seiner Unterhaltspflicht erschwert oder unmöglich macht. Setzt er sich mutwillig über diese Verpflichtungen hinweg, kann dieses Verhalten den Härtegrund nach § 1579 Nr. 5 BGB erfüllen und zur Verwirkung seines Anspruchs führen.
Rz. 291
Verlangt wird jedoch ein gravierendes Fehlverhalten. Die Verletzungen sind dann schwerwiegend, wenn die wirtschaftliche Lage des Unterhaltspflichtigen nachhaltig beeinträchtigt und dadurch seine Leistungsfähigkeit erheblich vermindert wird. Es genügt eine Vermögensgefährdung mit einem besonderen Gewicht aus.
Abgestellt wird dabei allerdings nicht allein auf den Umfang der Vermögensgefährdung, sondern auch auf die Intensität der Pflichtverletzung.
Rz. 292
Besondere praktische Bedeutung hat das Verschweigen von Informationen zum Einkommen.
Eine Pflicht zur ungefragten Information über unterhaltsrelevante Tatsachen besteht bei Vergleichen im Hinblick auf die sich aus einer Vereinbarung ergebende Treuepflicht, die die Rücksichtnahme auf die Belange des Pflichtigen erhöht. Die Voraussetzungen des § 1579 Nr. 5 BGB können folglich gegeben sein, wenn der Unterhaltsberechtigte den Verpflichteten nicht ungefragt über einen erheblichen Anstieg des eigenen Einkommens seit dem Abschluss eines Vergleichs informiert.
Subjektiv ist zumindest leichtfertiges Verhalten erforderlich.
Rz. 293
Im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens besteht die prozessuale Wahrheitspflicht, die jeden Beteiligten dazu verpflichtet, seine Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit entsprechend abzugeben (§ 138 Abs. 1 ZPO). Daraus folgt die Verpflichtung, über streitrelevante Umstände Erklärungen abzugeben, und zwar wahrheitsgemäß
Rz. 294
Hat das Gericht eine Auskunftsauflage nach § 235 Abs. 1 oder Abs. 2 FamFG gesetzt, besteht die gesetzliche Pflicht, Veränderungen unaufgefordert mitzuteilen (§ 235 Abs. 3 FamFG).
Rz. 295
Praxistipp:
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Die Bewertung, ob eine Position unterhaltsrechtlich relevant ist oder nicht, steht allein dem Gericht zu, nicht dem Beteiligten. |
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Der Beteiligte kann dem Gericht nicht diese Bewertung "abnehmen", indem relevante Tatsachen verschwiegen werden. |
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Dabei ist gleichgültig, ob es sich um Positionen des Unterhaltspflichtigen oder des Unterhaltsberechtigten handelt; die Wahrheitspflicht gilt für beide Seiten. |
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Weiter konkretisiert wird die prozessuale Wahrheitspflicht in § 138 Abs. 2 ZPO für den Fall, dass der Gegner bestimmte Tatsachen behauptet. Dann ist eine ausdrückliche Stellungnahme zu diesen Behauptungen gesetzlich gefordert. |
Rz. 296
Ist Grundlage des Unterhaltsanspruches eine gerichtliche Entscheidung, besteht nach der Rechtsprechung eine derartige Pflicht zur ungefragten Information über unterhaltsrelevante Tatsachen nur in Ausnahmefällen, nämlich bei einem Verschweigen wesentlicher Umstände, mit deren Eintritt nicht zu rechnen war.
b) Sonstige Anwendungsfälle
Rz. 297
Eine Selbstanzeige beim Finanzamt wegen möglicher Steuerhinterziehung, die auch Auswirkung auf die Veranlagung des Ehegatten hat, ist regelmäßig nicht genügend zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 1579 BGB, wenn die Auswirkungen zwar zu einer Verringerung des Vermögens führen, nicht aber nicht zu einer Gefährdung im Ganzen. Der anzeigende Ehegatte wird jedoch als verpflichtet angesehen, vor einer Selbstanzeige den Ehegatten vorab zu informieren, um ihm die Möglichkeit zu eröffnen, sich der Selbstanzeige anzuschließen.
Rz. 298
Der in Unterhaltsverfahren nicht seltene Hinweis auf "Schwarzgeldeinnahmen" erfolgt regelmäßig in Wahrnehmung berechtigter Interessen und verletzt nicht dessen schützenswerte Vermögensinteressen.
Rz. 299
Abhebungen von einem gemeinsamen Konto erfüllen nicht den Tatbestand, auch wenn diese zu einer Überziehung des Girokontos führen, denn bei einem gemeinsamen Konto der Eheleute sind beide berechtigt, Abhebungen vorzunehmen, um den Lebensbedarf zu decken. Im Innenverhältnis der Parteien unberechtigt vorgenommene Verfügungen sind im Rahmen eines Gesamtschuldnerausgleichs zu berücksichtigen und führen nicht zur Verwirkung des Unterhaltes.