Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 28
Der Unterhaltsanspruch verlängert sich, wenn dies der Billigkeit entspricht (§ 1570 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dabei sind die Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen (kindbezogener Billigkeitsergänzungsunterhalt § 1570 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das früher in der Praxis verbreitete Altersphasenmodell gilt nicht mehr. Wegen des Schutzzwecks des Betreuungsunterhalts haben diese kindbezogenen Gründe im Rahmen der Billigkeitsabwägung für eine Verlängerung das stärkste Gewicht.
Rz. 29
Die Verlängerung des Unterhalts über den Basisunterhalt hinaus stellt eine Ausnahmeregelung im Sinne einer positiven Härteklausel dar. Zwischen den Ansprüchen aus § 1570 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 besteht ein Regel-Ausnahme-Verhältnis.
Es kommt nicht darauf an, ob das Kind tatsächlich bereits außerhäuslich betreut wird, sondern nur, ob
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eine solche Möglichkeit objektiv besteht und |
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diese den Belangen des Kindes entspricht, die durch das Kindeswohl i.S.d. § 1671 Abs. 2 S. 2 BGB ausgefüllt werden. |
Rz. 30
Praxistipp:
Für den Billigkeitsbetreuungsunterhalt bedarf es immer eines umfassenden anwaltlichen Vortrages, der sich zu zwei Gesichtspunkten äußern muss:
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Zum einen geht es um die Frage der außerhäuslichen Kinderbetreuung, die nachfolgend noch näher dargestellt werden. |
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Damit zusammen hängt die Frage der objektiven Erwerbsobliegenheit des anspruchsberechtigten kindesbetreuenden Elternteils. |
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Erforderlich ist aber auch – bei Bestehen einer Erwerbsobliegenheit – die Darlegung der erfolglosen Bemühungen um die Erlangung einer Arbeitsstelle. |
Dazu ist eine intensive Aufklärung des unterhaltsberechtigten Ehegatten über die rechtlichen Zusammenhänge erforderlich.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.8.2020 – 13 UF 192/19
Zitat
1. Ein Betreuungsunterhalt wird im nachehelichen Unterhaltsrecht im Falle der Bedürftigkeit als Basisunterhalt ohne weitere Voraussetzungen nur für die ersten drei Lebensjahre des zu betreuenden Kindes gewährt. Daran kann sich eine Verlängerung anschließen, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht.
2. Der das gemeinsame 10jährige Kind betreuende Elternteil hat nachzuweisen, dass in der Person des Kindes Gründe vorliegen, die einen Unterhaltsanspruch nach Ablauf der Dreijahresfrist rechtfertigen können. Erforderlich ist eine substantiierte Darlegung, dass das Kind nicht ebenso gut betreut und versorgt werden könnte, wenn der Elternteil vollschichtig arbeiten würde.
3. Ein Aufstockungsunterhaltsanspruch setzt voraus, dass der Unterhalt begehrende geschiedene Ehegatte eine angemessene Erwerbstätigkeit ausübt, deren Einkünfte aber nicht zu seinem vollen, nach den ehelichen Lebensverhältnissen zu bestimmenden Unterhaltsbedarf ausreichen.
4. Bei einer teilschichtigen Erwerbstätigkeit hat der Berechtigte sich grundsätzlich unter Einsatz aller zumutbaren und möglichen Mittel um eine angemessene vollschichtige Erwerbstätigkeit durch Ausweitung seiner Tätigkeit bei seinem bisherigen Arbeitgeber oder um eine vollschichtige Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber bemühen.
5. Eine Verletzung der Erwerbsobliegenheit führt zur Anrechnung eines fiktiven Einkommens in Höhe eines realistischer Weise erzielbaren Einkommens.
Rz. 31
Im Rahmen der hier vorzunehmenden Billigkeitsabwägung können im Einzelfall zahlreiche Gesichtspunkte eine Rolle spielen, die sich auch teilweise überschneiden.
aa) Ausgestaltung der konkreten Betreuungssituation
Rz. 32
Maßgeblich ist die konkrete Betreuungssituation vor Ort. Die Möglichkeit der Fremdbetreuung muss tatsächlich existieren, zumutbar und verlässlich sein und mit dem Kindeswohl im Einklang stehen.
Rz. 33
Die Betreuung in öffentlichen Betreuungseinrichtungen wie Kindergärten, Kindertagesstätten oder Kinderhorten ist mit dem Kindeswohl vereinbar. Vorhandene Betreuungsmöglichkeiten sind auch zeitlich in vollem Umfang zu nutzen.
bb) Zeitlicher Rahmen von Betreuung und Erwerbstätigkeit
Rz. 34
In dem Umfang, in dem das Kind in einer Betreuungseinrichtung versorgt wird oder versorgt werden kann – z.B. auch über die Nachmittagsstunden – besteht während dieser Zeit eine entsprechende Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils. Voraussetzung ist aber immer, dass die zeitlichen Rahmenbedingungen von Kindesbetreuung und Erwerbstätigkeit übereinstimmen.
Rz. 35
Praxistipp:
Maßgeblich ist daher auch, m...