Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 342
Bei Trennung und Scheidung der Ehegatten verlässt meist ein Ehegatte freiwillig die bisherige Ehewohnung und überlässt die Räumlichkeiten dem anderen Ehegatten. Handelt es sich um eine Mietwohnung, übernimmt der verbliebene Ehegatte isR den Mietvertrag allein. Steht die Immobilie im Alleineigentum des anderen Ehegatten oder im Miteigentum beider Ehegatten, bietet es sich an, dass der verbleibende Ehegatte das Eigentum übertragen bekommt und der andere Ehegatte ausgezahlt wird.
Gelingt keine einvernehmliche Lösung, wird nach der Scheidung der Eheleute die Nutzung der Wohnung auf Antrag eines Ehegatten gerichtlich geregelt (§ 1568a BGB). Diese Vorschrift ist als Anspruchsgrundlage ausgestaltet. Zur Wohnung während der Trennungszeit siehe § 3 Rdn 170 und Rdn 164 ff.
I. Überlassungsanspruch, § 1568a Abs. 1 BGB
Rz. 343
Erste Voraussetzung für das Eingreifen des § 1568a BGB ist, dass es sich um eine Ehewohnung handelt. Hier stellt der BGH klar, dass dies nach der Situation im Zeitpunkt der Rechtskraft der Ehescheidung zu beurteilen ist. Dabei hängt die Qualifizierung als Ehewohnung bis zur Rechtskraft der Scheidung nicht davon ab, dass noch beide Ehegatten in der Wohnung leben. Sie behält ihren Charakter als Ehewohnung vielmehr während der gesamten Trennungszeit. Der gegenständliche Schutz der Ehe und Familie erfordert, dass für den gewichenen Ehegatten selbst nach längerer Abwesenheit noch die Möglichkeit besteht, in die Ehewohnung zurückzukehren, falls etwa Belange des Kindeswohls dies erforderlich machen.
Maßgeblich ist hier nach Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls primär das Wohl der in der Wohnung lebenden Kinder. Dabei sind auch volljährige Kinder relevant.
Diesen soll in der schwierigen Phase der Trennung und Scheidung der Eltern ihr bisheriges soziales Umfeld erhalten bleiben.
Während der gesamten Trennungszeit – gleich wie lange diese dauert – können Ansprüche betreffend der Ehewohnung allein nach § 1361b BGB (bzw. verfahrensrechtlich nach den §§ 200 ff. FamFG) geltend gemacht werden. Dies betrifft sowohl die Herausgabe bzw. Überlassung der Wohnung als auch damit verbundene Ansprüche wie die Zahlung einer Nutzungsentschädigung (§ 1361b Abs. 3 BGB). Selbst wenn eine Nutzungsregelung zwischen den Ehegatten ausdrücklich vereinbart worden wäre, kommt ihre Änderung (sofern die Ehegatten dafür keine Sonderregelung getroffen haben) nur unter den Voraussetzungen des § 1361b BGB in Betracht. Der Charakter als Ehewohnung endet damit praktisch erst mit dem Auszug des zunächst verbliebenen Ehegatten aus der Familienwohnung. Allerdings wird die Sperrwirkung des § 1568a BGB durch die Regelung in § 1568a Abs. 6 BGB zeitlich begrenzt.
Rz. 344
Sonstige Umstände sind nach Billigkeit ebenfalls in die Abwägung mit aufzunehmen. Diese Umstände sind insbesondere:
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Einkommens und Vermögensverhältnisse, |
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Gesundheitszustand, |
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Nähe zum Arbeitsplatz, |
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Sicherstellung der weiteren Betreuung eines Angehörigen, |
aber auch der Umstand, dass
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einer der Partner in der Wohnung aufgewachsen ist oder |
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bereits erhebliche Mittel vor Einzug des anderen Ehepartners in die Wohnung investiert hatte. |
Diese Umstände spielen vor allen Dingen dann eine Rolle, wenn keine Kinder vorhanden sind.
Rz. 345
Eine Abänderung der Wohnungszuweisung ist grds. möglich, wenn nach Rechtskraft der Entscheidung sich die Verhältnisse so wesentlich ändern, dass für den unterlegenen Ehegatte nun eine unzumutbare Härte anzunehmen ist.
II. Dingliche Rechte, § 1568a Abs. 2 BGB
Rz. 346
Wenn dingliche Rechte eines Ehegatten oder eines Dritten an der Ehewohnung bestehen, erfolgt eine Überlassung nur, wenn eine unbillige Härte vorliegt. Gegenüber der Billigkeitsentscheidung nach Abs. 1 sind die Voraussetzungen bei bestehenden dinglichen Berechtigungen folglich höher.
Nach dem Wortlaut der Norm kann die dingliche Berechtigung bestehen in:
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Eigentum, |
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Nießbrauch, |
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Erbbaurecht, |
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Wohnrecht oder |
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Wohnungseigentumsrecht. |
Rz. 347
Praxistipp:
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Die dingliche Berechtigung ist im Wege der Amtsermittlung nach § 26 FamFG zu ermitteln. |
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Besteht Miteigentum der Ehegatten ist Abs. 2 nicht anwendbar, die Regelung ist dann nach Abs. 1 zu treffen. |
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Nach Rechtskraft der Scheidung kommen auch die Nutzungsansprüche aus Gemeinschaft nach § 745 Abs. 2 BGB bei Miteigentum an der Ehewohnung in Betracht, wenn eine Einigung der früheren Eheleute über die Nutzung der gemeinsamen Immobilie vorliegt. Die Immobilie hat dann den Charakter als Ehewohnung verloren. |
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Während der Trennungszeit wurde § 745 BGB durch die spezialgesetzliche Regelung für die Nutzungsrechte verdrängt worden sind, nämlich § 1361b BGB bei Miteigentum an der Ehewohnung und die vindikatorischen Ansprüche aus § 985 BGB bei Alleineigentum eines Ehegatten... |