Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 95
Spätestens ab Rechtskraft der Scheidung – wenn nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt (siehe § 3 Rdn 92) – ist dem Ehegatten, der in der früheren Ehewohnung verblieben ist, nicht mehr nur der (niedrigere) angemessene Wohnvorteil anzurechnen, sondern der objektive (volle) Wohnwert (oder besser Vermietungswert) der Wohnung. Denn es besteht jetzt eine Verwertungsobliegenheit aus der allgemeinen unterhaltsrechtlichen Obliegenheit, vorhandenes Vermögen bestmöglich zu nutzen. In diesem Stadium muss der konkrete Preis, zu der die Wohnung bzw. das eigene Haus vermietet werden könnte, ermittelt werden.
1. Faktoren für die Bemessung des objektiven Wohnwertes
Rz. 96
Beim objektiven Wohnwert (Mietwert bei Fremdvermietung, Vermietungswert) kommt es auf die tatsächlichen wertbestimmenden Faktoren an wie die Lage der Immobilie, die genaue Größe, Qualität, Ausstattung und die übrigen mietrelevanten Umstände an, die im gerichtlichen Verfahren konkret dargelegt und – falls sie umstritten sind – bewiesen werden müssen.
Rz. 97
Von diesem zu ermittelnden Wohnvorteil sind auch die Belastungen der Wohnung abzuziehen (dazu siehe § 3 Rdn 97).
2. Anrechnung von Tilgungsleistungen
Rz. 98
Hinsichtlich der unterhaltsrechtlichen Berücksichtigung von Tilgungsleistungen hat sich eine für die familienrechtliche Praxis sehr bedeutsame Änderung der Rechtsprechung des BGH ergeben.
Rz. 99
Bei den Tilgungsleistungen haben die Eigentümerverhältnisse eine Bedeutung. Sind die Eheleute Miteigentümer des Hauses, führt die Rückführung der Hausdarlehen zu einer Vermögenssteigerung bei beiden Eheleuten, bei Alleineigentum ist der andere in der Regel ab Zustellung des Scheidungsantrags an dem Vermögenszuwachs nicht mehr beteiligt.
Dagegen wurden nach bisheriger Rechtsprechung im Rahmen der Berechnung des objektiven Wohnvorteils Tilgungsleistungen als solche nicht mehr als Abzugsposition anerkannt mit der Begründung, dass sie nur noch zur einseitigen Vermögensbildung eines Ehegatten führen – so bei Zugewinngemeinschaft vom Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrags an.
Rz. 100
Die dann erbrachten Tilgungsleistungen wurden lediglich – bei entsprechendem anwaltlichen Sachvortrag – als zulässige Rücklagen für die Altersversorgung anerkannt, wenn nicht schon bereits durch andere regelmäßige Rücklagen diese Abzugsmöglich ausgeschöpft wurde. Denn der Unterhaltspflichtige darf von seinen Einkünften grundsätzlich neben der gesetzlichen Altersvorsorge eine zusätzliche Altersvorsorge betreiben, die unterhaltsrechtlich bis zu 4 % des Bruttoeinkommens (beim Elternunterhalt 5 %) betragen kann. Entsprechendes gilt auch für den Unterhaltsberechtigten.
3. Entscheidung des BGH v. 18.1.2017 – XII ZB 118/16
Rz. 101
Die Entscheidung des BGH v. 18.1.2017 befasst sich auf den ersten Blick nur mit der Frage von Tilgungsleistungen und Aufwendungen für die zusätzliche Altersvorsorge beim Elternunterhalt. Die Leitsätze dieser Entscheidung lauten:
Zitat
a) Neben den Zinsen sind die Tilgungsleistungen bis zur Höhe des Wohnvorteils vom Einkommen des Elternunterhaltspflichtigen abzuziehen, ohne dass dies seine Befugnis zur Bildung eines zusätzlichen Altersvorsorgevermögens schmälert.
b) Der den Wohnvorteil dann noch übersteigende Tilgungsanteil ist als Vermögensbildung zu Lasten des Unterhaltsberechtigten im Rahmen der sekundären Altersvorsorge auf die Altersvorsorgequote von 5 % des Bruttoeinkommens des Elternunterhaltspflichtigen anzurechnen.
Konkret bedeutet dies aber, dass die Tilgung bis zur Höhe des vollen Wohnvorteils unterhaltsrechtlich angerechnet wird und dann noch darüber hinaus die Möglichkeit besteht, weitere Tilgungsleistung bis zur Obergrenze von 5 % des Jahresbruttoeinkommens als zusätzliche Altersvorsorge abzusetzen.
Dies lässt sich anhand eines Berechnungsbeispiels verdeutlichen:
Rz. 102
|
|
Berechnung beim Unterhalt |
Wohnvorteil |
600,00 EUR |
600,00 EUR |
Zinsen |
450,00 EUR |
450,00 EUR |
Tilgung |
550,00 EUR |
-150,00 EUR |
Verbleibender Wohnvorteil |
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0,00 EUR |
Die Tilgungsleistungen können nur bis zur Höhe des Wohnvorteils abgezogen werden, also hier in Höhe von 150 EUR. Der Restbetrag von mtl. 400 EUR kann für die zusätzliche Altersvorsorge eingesetzt werden, also in Höhe von jährlich 4.800 EUR.
Beim Elternunterhalt beträgt die Obergrenze des zulässigen Einsatzes für die zusätzliche Altersvorsorge 5 % des Jahresbruttoeinkommens des Vorjahres. Die den Wohnwert und eine zusätzliche Altersvorsorgequote von 5 % des Bruttoeinkommens übersteigende Tilgungsleistungen ist daher grundsätzlich nicht absetzbar.
Bei einem Jahresbruttoeinkommen von 150.000 EUR sind dies 7.500 EUR. Diese Obergrenze wird hier nicht überschritten, so dass bei der Unterhaltsberechnung monatlich 400 EUR abzuziehen sind zusätzliche Altersvorsorge. Insgesamt können also auf diesem Weg die gesamten Belastungen der Wohnung (Zins und Tilgung) in Höhe von 1.000 EUR in Abzug gebracht werden.
Beläuft sich dage...