Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 268
Voraussetzung der Anwendbarkeit des § 1579 BGB ist die grobe Unbilligkeit, die sich
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aus einem vorwerfbaren Fehlverhalten des Unterhaltsberechtigten (§ 1579 Nr. 3 bis 7, Nr. 8 BGB) oder |
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aus einer objektiven Unzumutbarkeit der Unterhaltsleistung für den Unterhaltspflichtigen (§ 1579 Nr. 1, 2, 8 BGB) |
ergeben kann.
Rechtsfolge kann sein,
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die Beschränkung des Unterhaltsanspruchs
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nach Höhe, |
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zeitlicher Dauer der Leistung oder |
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einer Kombination aus Höhe und Dauer |
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oder seine vollständige Versagung. |
Rz. 269
Praxistipp:
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Die Vorschrift des § 1579 BGB wird oft als "Verwirkung" bezeichnet. |
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Dies ist aber nicht korrekt, da eine Verwirkung zum vollständigen und endgültigen Verlust eines Anspruchs führt. Die Rechtsfolgen des § 1579 BGB sind aber differenzierter; auch kann der Anspruch u.U. wieder aufleben (siehe unten Rdn 321). |
1. § 1579 Nr. 1 BGB – kurze Ehedauer
Rz. 270
Auszugehen ist zunächst von der tatsächlichen Ehezeit. Wenn die "kurze Ehedauer" bejaht wird, muss eine umfassende Billigkeitsabwägung durchgeführt werden. (zur sog. Kinderschutzklausel siehe unten Rdn 314 ff.)
Dir Rechtsprechung sieht eine nicht mehr als zwei Jahre betragende Ehedauer in der Regel als kurz, eine solche von mehr als drei Jahren hingegen nicht mehr als kurz an, wobei es auf die Zeit von der Heirat bis zur Zustellung des Scheidungsantrags ankommt.
2. Härtegrund aus § 1579 Nr. 2 BGB (neue Partnerschaft, verfestigte Lebensgemeinschaft)
Rz. 271
Der Härtegrund des § 1579 Nr. 2 BGB sanktioniert kein vorwerfbares Fehlverhalten des Unterhaltsberechtigten, sondern stellt auf rein objektive Gegebenheiten bzw. Veränderungen in den Lebensverhältnissen des bedürftigen Ehegatten ab, die eine dauerhafte Unterhaltsleistung unzumutbar erscheinen lassen. Zur neuen Partnerschaft siehe auch § 15 Rdn 1 ff. und § 16 Rdn 1 ff.
a) Verfestigte Lebensgemeinschaft
Rz. 272
Maßgeblich ist folglich, dass der unterhaltsberechtigte frühere Ehegatte eine verfestigte neue Lebensgemeinschaft eingegangen ist, sich damit endgültig aus der ehelichen Solidarität herauslöst und auf diese Weise zu erkennen gibt, dass er diese nicht mehr benötigt. Dabei spielt die finanzielle Leistungsfähigkeit des neuen Partners keine Rolle.
Für die Annahme einer solchen verfestigten Lebensgemeinschaft ist nicht erforderlich, dass die neuen Partner räumlich zusammenleben und einen gemeinsamen Haushalt führen, auch wenn eine solche Form des Zusammenlebens in der Regel ein typisches Anzeichen hierfür sein wird. Auch intime Beziehungen der Partner sind nicht erforderlich. Je fester allerdings die Verbindung nach außen in Erscheinung tritt, umso kürzer wird die erforderliche Zeitspanne anzunehmen sein. In zeitlichem Zusammenhang mit der Trennung zutage getretenen Umständen lassen für sich i.d.R. keinen verlässlichen Schluss auf das Vorliegen einer verfestigten Lebensgemeinschaft zu, ebenso wenig genügt allein der Ablauf eines festen Zeitraums von einem Jahr seit der Trennung.
Die Anzeichen einer engen Beziehung müssen in der Öffentlichkeit als solche erkannt werden können und das Maß einer ungebundenen Wochenend- und Freizeitbeziehung übersteigen. Bei einer Beziehung, die nicht überwiegend durch ein Zusammenwohnen und auch nicht durch ein gemeinsames Wirtschaften geprägt ist, ist eine verfestigte Beziehung etwa dann erreicht, wenn die Partner seit fünf Jahren in der Öffentlichkeit, bei gemeinsamen Urlauben und der Freizeitgestaltung als Paar auftreten und Feiertage und Familienfeste zusammen mit Familienangehörigen verbringen.
Gemeinsames Einkaufen, gemeinsamer Besuch bei den Eltern des anderen Partners, Mithilfe bei der Renovierung der Wohnung des Partners, gemeinsame Urlaube auch mit anderen Familienmitgliedern des Partners, die gemeinsame Teilnahme an Familienfeiern auch mit den Kindern des Partners, Begleitung zu den Gerichtsterminen ergeben starke Anzeichen einer engen Beziehung, die in der Öffentlichkeit als solche erkannt werden kann und übersteigen das Maß einer ungebundenen Wochenend- und Freizeitbeziehung. Auch können Informationen aus den sozialen Medien hier Bedeutung gewinnen.
Rz. 273
Sehr anschaulich und detailreich ist ein nach umfangreicher Beweisaufnahme vom OLG Brandenburg entschiedener Fall.