Rz. 38
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Unfallgeschädigter fiktiv die von einem Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten abrechnen. Der Geschädigte ist nach dem gesetzlichen Bild des Schadensersatzes Herr des Restitutionsgeschehens. Er bleibt es auch in dem Spannungsverhältnis, das durch den Interessengegensatz zwischen ihm und dem Schädiger bzw. dessen Versicherer besteht. Nach den herkömmlichen schadensrechtlichen Grundsätzen besteht Dispositionsfreiheit des Geschädigten. Er ist in der Verwendung der Mittel frei, die er vom Schädiger zum Schadensausgleich beanspruchen kann. Es bleibt ihm deshalb auch überlassen, ob überhaupt und wenn ja auf welche Weise er sein Fahrzeug wieder instand setzt. Nach dem Grundsatz der subjektiven Schadensbetrachtung sind allerdings auch bei der fiktiven Abrechnung in der Person des konkret Geschädigten vorhandene Vorteile und Erschwernisse bei der Schadenbeseitigung zu berücksichtigen. Sind dem Geschädigten von markengebundenen Fachwerkstätten auf dem allgemeinen regionalen Markt Großkundenrabatte für Fahrzeugreparaturen eingeräumt worden, die er ohne weiteres auch für die Reparatur des Unfallfahrzeugs in Anspruch nehmen könnte, so ist dies ein Umstand, der im Rahmen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung auch bei fiktiver Schadensabrechnung grundsätzlich zu berücksichtigen ist, solche Vorteile sind also anzurechnen.
Bei der fiktiven Schadensberechnung ist für die Bemessung des Schadensersatzanspruchs materiell-rechtlich der Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung, verfahrensrechtlich regelmäßig der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung maßgeblich. Vorher eintretende Preissteigerungen für die günstigere Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt, auf die der Schädiger den Geschädigten gem. § 254 Abs. 2 BGB verweisen darf, gehen daher in der Regel zu Lasten des Schädigers.
Zur Eigenreparatur und zur Reparatur im eigenen Betrieb vgl. oben Rdn 34.
Rz. 39
Unrichtig ist es, im Hinblick auf die fiktive Schadensabrechnung die Vorlage von Rechnungen zu verlangen. § 142 ZPO greift nur, wenn der Geschädigte auf der Grundlage von Rechnungen abrechnet. Dies muss er aber nicht. Der Schädiger hat den zur Wiederherstellung der beschädigten Sache erforderlichen Geldbetrag zu zahlen und hierzu den Finanzierungsbedarf des Geschädigten in Form des zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrags zu befriedigen. Er hat aber nicht vom Geschädigten bezahlte Rechnungsbeträge zu erstatten. Der tatsächliche Aufwand bildet zwar (ex post gesehen) bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO oft einen Anhalt zur Bestimmung des zur Herstellung "erforderlichen" (ex ante zu bemessenden) Betrages. Der tatsächlich aufgewendete Betrag ist aber nicht notwendig mit dem zu ersetzenden Schaden identisch. Wahrt der Geschädigte den Rahmen des zur Wiederherstellung Erforderlichen, sind weder der Schädiger noch das Gericht im Schadensersatzprozess berechtigt, eine Preiskontrolle durchzuführen. Gleichwohl kann in besonders gelagerten Fällen berücksichtigt werden, dass der vom Sachverständigen nach Marktpreisen ermittelte Reparaturaufwand aufgrund besonderer Umstände nicht "erforderlich" ist, so wenn der Geschädigte über besonders günstige Reparaturmöglichkeiten verfügt, deren Inanspruchnahme ihm zumutbar ist.
Rz. 40
Der Geschädigte kann zum Ausgleich des durch einen Unfall verursachten Fahrzeugschadens die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts (dazu unten) ohne Abzug des Restwerts (dazu unten) verlangen, wenn er das Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt und weiter nutzt, wobei die Qualität der Reparatur jedenfalls so lange keine Rolle spielt, wie die geschätzten Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen. Der Abrechnung nach Maßgabe fiktiver Reparaturkosten soll nicht entgegen stehen, dass das Fahrzeug bei einem späteren Unfall am gleichen Karosserieteil zusätzlich beschädigt wurde, die Reparatur des Zweitschadens zwangsläufig zur Beseitigung des Erstschadens führte und der Kaskoversicherer des Geschädigten aufgrund seiner Einstandspflicht für den späteren Schaden die Reparaturkosten vollständig erstattet hatte. Bis auf die Mehrwertsteuer (§ 249 Abs. 2 S. 2 BGB) sind die vollen Kostenpositionen ersatzfähig, die bei Durchführung der Reparatur anfielen; die erforderlichen Reparaturkosten umfassen daher auch allgemeine Kostenfaktoren wie Sozialabgaben und Lohnnebenkosten.
Rz. 41
Um eine Bereicherung des Geschädigten nach Möglichkeit zu verhindern, verlangt der Bundesgerichtshof, dass der Geschädigte in dem vorgenannten Fall das Fahrzeug – gegebenenfalls unrepariert – mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiter nutzt. Denn von einer Weiternutzung des Fahrzeugs kann keine Rede sein, wenn der Geschädigte es nach dem Unfall alsbald veräußert, also sein Integritätsinteresse aufgibt und durch den Verkauf den Restwert seines Fahrzeugs realisiert. Der Bundesgeri...