Rz. 60
Die Probleme hinsichtlich der bei der Schadensabrechnung anzusetzenden Stundenverrechnungssätze beruhen darauf, dass die Preise markengebundener Werkstätten zum Teil ganz erheblich über denen freier Werkstätten liegen. Hinzu kommt, dass die Qualitätsunterschiede inzwischen teilweise marginal sind. Durch das europäische Recht wird die qualitative Angleichung markengebundener und freier Werkstätten vorangetrieben. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach der Schadensberechnung grundsätzlich zunächst die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde gelegt werden können, hat derzeit ihre Berechtigung. Sie könnte aber in Zukunft zu überprüfen sein, wenn der Markt von zertifizierten, von der Dekra, vom TÜV oder einer sonst anerkannten Institution kontrollierten Meisterbetrieben beherrscht wird, die nur Originalersatzteile verwenden und in der Qualität markengebundenen Werkstätten in nichts nachstehen.
Rz. 61
Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Urteilen herausgearbeitet, welche Stundenverrechnungssätze bei der Schadensabrechnung angesetzt werden dürfen. Möglich ist die konkrete Abrechnung aufgrund der Reparaturrechnung einer frei gewählten Kraftfahrzeugwerkstatt; der Rechnungsbetrag ist – einschließlich angefallener Mehrwertsteuer – zu ersetzen. Im Fall der konkreten Schadensberechnung kann der Geschädigte sein besonderes Interesse an einer solchen Reparatur in der gewählten markengebundenen Werkstatt regelmäßig durch die Reparaturrechnung belegen.
Rz. 62
Der Geschädigte darf aber auch einer fiktiven Schadensberechnung grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs besteht grundsätzlich ein Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte den Wagen tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt. Bis auf die Mehrwertsteuer (§ 249 Abs. 2 S. 2 BGB) sind die vollen Kostenpositionen ersatzfähig, die bei Durchführung der Reparatur anfielen; die erforderlichen Reparaturkosten umfassen daher auch allgemeine Kostenfaktoren wie Sozialabgaben und Lohnnebenkosten.
Rz. 63
Allerdings ist ein Verweis des Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen "freien Fachwerkstatt" möglich, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht. Der Verweis auf eine freie Werkstatt ist ausgeschlossen: generell bei Fahrzeugen bis zum Alter von drei Jahren, bei älteren Fahrzeugen, wenn der Geschädigte sein Kraftfahrzeug bisher stets in der markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen, bei älteren Fahrzeugen evtl. auch bei drohendem Verlust bestimmter Garantieleistungen. Möglich ist eine Anordnung des Gerichts nach § 142 ZPO, dass der Geschädigte oder ein Dritter die in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, auf die sich der Geschädigte bezogen hat, etwa das "Scheckheft" oder Rechnungen über die Durchführung von Reparatur- und/oder Wartungsarbeiten, vorlegen.
Rz. 64
Im "BMW-Urteil" hat der Bundesgerichtshof sodann entschieden, dass der Schädiger den Geschädigten im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere und vom Qualitätsstandard gleichwertige Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen "freien Fachwerkstatt" verweisen darf, wenn der Geschädigte keine Umstände aufzeigt, die ihm eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen. Dabei muss eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entsprechen; außerdem muss der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegen, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden. Im "Mercedes-A 140-Urteil" hat der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung nochmals bestätigt und ausgeführt, dass für die tatrichterliche Beurteilung der Gleichwertigkeit der Reparaturmöglichkeit auch im Rahmen des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO gilt. Im Hinblick darauf ist es nicht zu beanstanden, wenn sich ein Gericht etwa hinsichtlich der Zertifizierungsvoraussetzungen durch öffentlich zugängliche Informationsmittel kundig macht. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Reparaturkostenkalkulation des vom Geschädigten beauftragten Sachverständigen bereits mittlere ortsübliche Sätze nicht markengebundener Fachwerkstätten zugrunde liegen; denn es kann...