Rz. 210
Der Erfolg oder Misserfolg freiberuflicher Praxen hängt meist entscheidend von der Person des Inhabers und von seiner persönlichen Bindung zu Klienten bzw. Patienten ab. In der Rechtsprechung wird daher zu Recht die Anwendung der Ertragswertmethode i.S.v. IDW S 1 grundsätzlich abgelehnt.
Traditionell wird stattdessen das Sachwertverfahren favorisiert, bei dessen Anwendung jedoch – soweit vorhanden – auch der "Goodwill" zu berücksichtigen ist. Dieser "Goodwill" wird i.d.R. aus einem gewissen Prozentsatz der bereinigten Durchschnittsumsätze der Vorjahre ermittelt, wobei dies branchenabhängig variiert. Die Rspr. bezieht sich dabei oft auf die Bewertungsgrundsätze der entsprechenden Berufsvertretungen (Ärztekammer, Rechtsanwaltskammer).
Bei Auflösung der Praxis kommt für die Bewertung nur der Sachausstattungswert in Betracht. Dem Veräußerungserlös bei einem Verkauf im Ganzen kommt auch hier erhebliche Bedeutung zu, zumal sonst kaum Vergleichswerte zur Verfügung stehen.
Rz. 211
Die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung haben am 22.12.2008 gemeinsame "Hinweise zur Bewertung von Arztpraxen" vom 9.9.2008 veröffentlicht. Auch wenn diese Hinweise die mit Wirkung zum 1.1.2009 eingeführte Gebührenordnung durch den einheitlichen Bewertungsmaßstab und damit einhergehende wesentliche Veränderungen der zu erwartenden Umsätze nicht berücksichtigen und daher berechtigter Kritik ausgesetzt sind, ist davon auszugehen, dass sie nach wie vor in der Praxis Beachtung finden.
Rz. 212
Der Wert einer Arztpraxis umfasst demnach grundsätzlich die Gesamtheit von Einrichtung, Ausstattung, Personal, Patientenstamm und Gewinnaussichten. Dabei ist der wirtschaftlichen Einheit Arztpraxis das ganze Unternehmen einschließlich etwaiger vertragsärztlicher, ggf. stationärer sowie berufsgenossenschaftlicher und privatärztlicher Tätigkeiten zuzuordnen. Für den Fall der Fortführung setzt sich der Wert der Praxis aus dem Substanzwert auf der einen und dem ideellen Wert (Goodwill) auf der anderen Seite zusammen.
Rz. 213
Basis für die Ermittlung des Substanzwerts ist das Anlagenverzeichnis. Darin sind sämtliche Wirtschaftsgüter und Schulden mit ihren Verkehrswerten anzusetzen, wobei technische Neuerungen, amtliche Auflagen und das aktuelle Preisniveau zu berücksichtigen sind.
Rz. 214
Der ideelle Wert (Goodwill oder immaterielle Praxiswert) repräsentiert die (in Geld ausgedrückte) Chance, eine eingeführte Arztpraxis mit ihrem Patienten- oder Überweiserstamm wirtschaftlich erfolgreich fortzuführen. Die "Praxis" umfasst dabei auch die bestehende Organisation sowie die gewachsene Infrastruktur in der betreffenden Region, die Patientenzahl und die Leistungsfähigkeit. Auch diese Aspekte wirken sich daher auf die Bemessung des ideellen Praxiswerts aus. Ebenfalls zu berücksichtigen ist aber die bei Arztpraxen typischerweise festzustellende deutlich überdurchschnittliche Personengebundenheit, die eine Vergleichbarkeit mit einem Geschäfts- oder Firmenwert anderer Branchen nur eingeschränkt zulässt.
Rz. 215
Nach den Hinweisen der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung soll der ideelle Praxiswert nach folgender Formel errechnet werden:
|
Übertragbarer Umsatz |
./. |
übertragbare Kosten |
= |
übertragbarer Gewinn |
./. |
alternatives Arztgehalt |
= |
nachhaltig erzielbarer Gewinn |
× |
Prognosemultiplikator |
= |
ideeller Wert (Goodwill) |
Rz. 216
Der übertragbare Umsatz ist aus den durchschnittlichen Umsätzen der letzten drei Kalenderjahre vor dem Jahr der Übertragung abzuleiten. Einzubeziehen sind alle Umsatzteile, die nicht ausschließlich und individuell dem Praxisinhaber personengebunden zugerechnet werden müssen (z.B. Gutachtertätigkeit, personenbezogene Abrechnungsgenehmigungen, Belegarzttätigkeit, betriebsärztliche Tätigkeit, individuelle Erträge wie Miet- oder Zinserträge). Sonstige Besonderheiten, wie z.B. Krankheitszeiten des Praxisinhabers, sind ebenso wie vorhersehbare künftige Veränderungen (insbesondere hinsichtlich der Abrechnungsmöglichkeiten) zu berücksichtigen. Bei der Bemessung der Umsätze ist also i.d.R., ggf. abweichend von der Realität, eine Vollzeittätigkeit des Inhabers zu unterstellen.
Rz. 217
Spiegelbildlich zu den übertragbaren Umsätzen sind auch die übertragbaren Kosten zu erfassen. Diese umfassen neben den tatsächlich anfallenden und auch in Zukunft zu erwartenden Ausgaben auch kalkulatorische Kosten wie Abschreibungen und Finanzierungskosten. Im Falle der unentgeltlichen oder teilentgeltlichen Mitarbeit von Familienangehörigen sind die Kosten einer vergleichbaren fremden Arbeitskraft zu berücksichtigen. Beim übertragbaren Gewinn handelt es sich um den Gewinn vor Steuern.
Rz. 218
Um die Kostenseite zutreffend abzubilden, ist ein kalkulatorisches Gehalt für den Praxisinhaber anzusetzen. Insoweit sprechen die Hinweise vom alternativen Arztgehalt. Als alternatives Arztgehalt sehen die Hinweise einen Ausgangswert für das Jahr 2008 i.H.v. 76.000 EUR vor. Allerdings stel...