Rz. 188
Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie Handwerksbetrieben führt die Ertragswertmethode nach IDW S 1 oft zu unbefriedigenden und nicht realitätsgerechten Ergebnissen. Das liegt vielfach daran, dass der Detaillierungsgrad der verfügbaren Planungsdaten nicht ausreicht und die Abhängigkeit des Unternehmenswerts von individuellen Eigenschaften des Inhabers, bestimmter Mitarbeiter, Lieferanten und einzelner Kunden bzw. Kundengruppen nicht ausreichend berücksichtigt wird. Außerdem bleiben die individuelle Konkurrenzsituation und das individuelle Leistungsangebot sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken bei der Bewertung nach der Ertragswertmethode weitgehend unberücksichtigt. Vor diesem Hintergrund hat der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) den sog. AWH-Standard geschaffen.
Rz. 189
Im Prinzip basiert das dem AWH-Standard zugrunde liegende Bewertungsverfahren auf der Ertragswertmethode. Allerdings nimmt es durch verschiedene Anpassungen des Modells nach IDW S 1 auf die Besonderheiten von kleinen und mittelständischen Handwerksunternehmen Rücksicht. Das beginnt mit dem Verzicht auf Planungsrechnungen bzw. einem Rückgriff auf Vergangenheitswerte. Da in Handwerkbetrieben im Regelfall kein die Strategie des Alteigentümers fortschreibendes, betriebswirtschaftlich fundiertes Planungsmodell existiert, bilden nach dem AWH-Standard anstelle der für die Ertragswertmethode maßgeblichen Planungsdaten die Jahresabschlüsse der letzten drei bis fünf Jahre die Bewertungsgrundlage. Die tatsächlich erzielten handelsrechtlichen Jahresüberschüsse werden um betriebsfremde und außerordentliche Aufwendungen bzw. Erträge korrigiert und hinsichtlich persönlich oder familiär motivierter Faktoren, z.B. unangemessener Entlohnung von Familienangehörigen, überprüft. Da auch Zinsen und Skonti in kleineren Betrieben oftmals durch eine persönlich motivierte Finanz- und Entnahmepolitik des Inhabers beeinflusst werden, sind auch diese Posten kritisch zu hinterfragen.
Rz. 190
In vielen Betrieben ist keine feste Vergütung für den Arbeitseinsatz des Inhabers vorgesehen. Der kalkulatorische Unternehmerlohn stellt daher oft eine für die Bewertung ganz wesentliche, durch Schätzung zu ermittelnde Größe dar. Der AWH-Standard sieht diesbezüglich einen pragmatischen Ansatz vor, der auf dem tariflichen Meistergehalt zuzüglich Arbeitgeberanteil für Sozialversicherung und 20 % bis 50 % Zuschlag für die Unternehmertätigkeit (Mehrarbeit, Haftung etc.) aufbaut. Die Angemessenheit des so ermittelten Ergebnisses ist jedoch im jeweiligen Einzelfall konkret zu überprüfen.
Rz. 191
Gegenstand der Bewertung ist grundsätzlich die gesamte wirtschaftliche Unternehmenseinheit als "intakte Einkommensquelle". Diese umfasst sämtliche Gegenstände des betriebsnotwendigen Anlagevermögens sowie den betriebsnotwendigen Waren- und Materialbestand. Bei Übernahme (oder Vererbung) zusätzlicher Werte, wie z.B. Forderungen und teilfertigen Leistungen, oder Verbindlichkeiten ist der Ertragswert (des betriebsnotwendigen Vermögens) entsprechend anzupassen.
Die Bewertung erfolgt grundsätzlich ohne Berücksichtigung der Betriebsgrundstücke und Gebäude. Die sich hieraus ergebenden Korrekturen werden im Bereich der kalkulatorischen Kosten erfasst. Gehen Immobilien als Teil des Betriebes mit über, ist ihr Wert gesondert zu berücksichtigen.
Rz. 192
Auch nach dem AWH-Standard sind innerhalb der Bewertung die Steuern zu berücksichtigen, und zwar rechtsformindividuell. Bei der Berechnung der Gewerbesteuer ist für Einzelunternehmen und Personengesellschaften der Freibetrag nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 GewStG zu berücksichtigen. Zinsen, Leasingraten, Mieten und Pachten werden mit den steuerlich gültigen Werten hinzugerechnet. Ebenso muss bei Personenunternehmen die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die private Einkommensteuer gem. § 35 EStG mit dem 3,8-Fachen des Gewerbesteuermessbetrages berücksichtigt werden.
Der "bereinigte Gewinn nach Steuern" wird bei Personenunternehmen durch Abzug der Gewerbesteuer und einer typisierten Einkommensteuer in Höhe von 35 % der Bemessungsgrundlage ermittelt.
Rz. 193
Bei der Bewertung von Kapitalgesellschaften (im Wesentlichen GmbH) legt der AWH-Standard typisierend eine Vollausschüttung des bereinigten und versteuerten Gewinns zugrunde. Daher ist der bereinigte Gewinn sowohl um die Gewerbesteuer als auch um die Körperschaftsteuer und den Solidaritätszuschlagbelastung (15 % bzw. 5,5 % davon) auf Unternehmensebene zu mindern. Der danach verbleibende Nachsteuer-Gewinn steht für eine Ausschüttung zur Verfügung und unterliegt der 25 %-igen Abgeltungsteuer (zuzüglich 5,5 % Solidaritätszuschlag).
Rz. 194
Im Hinblick darauf, dass der Wert der Nettozuflüsse aus dem Unternehmen mit dem Wert der Nettozuflüsse aus einer adäquat vergleichbaren Kapitalanlage verglichen wird, muss auch der anzuwendende Kapitalisierungszinssatz inklusive der Risikoaufschläge um die pauschale Abgeltungssteuer von 25 % zuzüglich Solidaritätszuschla...