Rz. 89
Der Unternehmenswert hängt entscheidend von der zukünftigen Ertragskraft des Unternehmens ab. Deren Einschätzung erfordert (vom Stichtag aus betrachtet) eine entsprechende Zukunftsprognose. Um diese zu treffen, kommen im Wesentlichen zwei methodische Ansätze in Betracht:
Rz. 90
Die älteren Lehrmeinungen in der Betriebswirtschaftslehre gingen überwiegend davon aus, dass der Zukunftserfolg als einheitliche Schätzgröße aus einem Durchschnitt der in der Vergangenheit bzw. Gegenwart erwirtschafteten Erfolge abgeleitet werden könne. Dabei wurden alle den Erfolg beeinflussenden Faktoren global in ein einheitliches Ergebnis einbezogen. Auf eine Einzelbetrachtung der für den zukünftigen Erfolg verantwortlichen Faktoren, Chancen und Risiken wurde bewusst verzichtet, um so der Gefahr von Fehleinschätzungen hinsichtlich einzelner Erfolgskomponenten entgegenzuwirken und daraus resultierende Verzerrungen des Gesamtergebnisses zu vermeiden.
Rz. 91
Mittlerweile hat sich jedoch die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Prognose auf detaillierteren Planungen der Zukunftsergebnisse beruhen sollte. Dabei sind für alle wesentlichen erfolgswirksamen Faktoren einzelne Pläne aufzustellen, die – jeder für sich – mit den entsprechenden Vergangenheitsergebnissen korrelieren.
Rz. 92
Logischerweise nehmen die Planungsunsicherheiten mit wachsendem zeitlichem Abstand zum Stichtag zu. Daher wird die – jedenfalls theoretisch unendliche – Zukunft des Unternehmens in verschiedene Planungsphasen untergliedert, und zwar üblicherweise in zwei Phasen:
Rz. 93
Für die erste, also dem Stichtag am nächsten liegende Phase (drei bis maximal fünf Jahre), können noch relativ genaue Vorausberechnungen angestellt werden, die auf Einzelplanansätzen der jeweiligen Aufwendungen und Erträge beruhen. Diese müssen aufeinander abgestimmt und in sich plausibel sein.
Rz. 94
Da in Bezug auf die danach liegende zweite Phase Einzelplanansätze zumeist nicht mehr mit hinlänglicher Prognosesicherheit aufgestellt werden können, beruhen die Ertragsprognosen insoweit in der Regel auf allgemeinen Trenderwartungen, die auf den vorangegangenen Planungen aufbauen und in konstanten oder konstant wachsenden Erträgen resultieren. Den Annahmen für diese zweite Phase kommt im Rahmen der Bewertung erhebliches Gewicht (oft über 70 % des Gesamt-Unternehmenswerts) zu. Daher sind die hier getroffenen Annahmen besonders kritisch zu hinterfragen. Die jeweiligen Ansätze müssen jedenfalls nachvollziehbar und vertretbar sein. Das gilt insbesondere für das Unternehmenskonzept und die erwarteten Rahmenbedingungen des Marktes bzw. des Wettbewerbs sowie deren Veränderungen. Eine Kontrolle anhand von Branchenkennzahlen (z.B. Umsatzrenditen) ist praktisch unerlässlich.
Rz. 95
Die Planungen der beiden Phasen müssen plausibel aufeinander aufbauen. Es muss daher geprüft werden, ob die Planansätze der ersten Phase tatsächlich als Basis für die Planung der finanziellen Überschüsse der zweiten Phase geeignet sind. Dabei stehen in der Regel vor allem die nachfolgend genannten Sachverhalte im Vordergrund:
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Berücksichtigung wesentlicher und nachhaltiger Veränderungen im Absatz- und/oder Beschaffungsmarkt; |
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Analyse des Produkt- und Marktpotenzials auf Ausgewogenheit im Produktlebenszyklus; |
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Analyse der Markt- und Wettbewerbspositionierung der Produkte und Dienstleistungen im Hinblick auf noch nicht berücksichtigte zukünftige Marktchancen; |
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Einbeziehung noch nicht berücksichtigter Kosten für die zukünftige Marktbearbeitung, |
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Normalisierung wesentlicher Kostenkomponenten, wie z.B. Forschung und Entwicklung und Altersversorgung; |
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Berücksichtigung nachhaltig wirkender Kostensenkungs- und Restrukturierungsmaßnahmen, die im Bewertungszeitpunkt bereits angelegt sind. |
Rz. 96
Angesichts der Komplexität dieser Planungsaufgaben kann es sinnvoll sein, verschiedene Szenarien zu entwickeln, um das Ausmaß der Unsicherheit der künftigen finanziellen Überschüsse besser beurteilen zu können und in das Bewertungskalkül (Bestimmung des Abzinsungsfaktors) einzubeziehen.
Die Plausibilität der Planungsrechnungen ist jedenfalls für die Validität des Bewertungsergebnisses absolut entscheidend.