Rz. 12
Eine klare gesetzliche Vorgabe bezüglich der anzuwendenden Bewertungsmethode findet sich im Bereich des Pflichtteilsrechts ebenso wenig wie in den meisten anderen Rechtsbereichen, in denen der Unternehmenswert eine Rolle spielen kann. Auch die Regelung in § 728 Abs. 1 S. 1 BGB, nach der dem ausscheidenden Gesellschafter einer GbR eine "dem Wert seines Anteils angemessene Abfindung zu zahlen" ist, hat dies nicht grundlegend geändert. Denn eine Definition des zugrundeliegenden Wertbegriffs bzw. der in Bezug genommene "Angemessenheit" bleibt das Gesetz nach wie vor schuldig.
Bislang existieren auch nur sehr wenige höchstrichterliche Entscheidungen, die sich mit Fragen der Unternehmenswertermittlung zur Bemessung von Pflichtteilsansprüchen oder Pflichtteilsergänzungsansprüchen auseinandersetzen.
Rz. 13
Angesichts des Alters dieser Entscheidungen ist außerdem zu berücksichtigen, dass sich die Betriebswirtschaftslehre gerade im Bereich der Unternehmensbewertung inzwischen deutlich weiterentwickelt hat. Während früher der Rückgriff auf den Substanzwert oder die Bildung eines Mittelwerts aus Substanz- und Ertragswert noch durchaus als "lege artis" galten, kommt heute den ertrags- bzw. cash-flow-orientierten Bewertungsverfahren eine beherrschende Stellung zu. Auch der BGH gibt heute der Ertragswertmethode eindeutig den Vorzug, so dass Substanz- und Mittelwertmethode wohl endgültig – auch aus Sicht der Rechtsprechung – als überholt angesehen werden müssen.
Rz. 14
Ungeachtet ihres Alters ist aber nach wie vor die Entscheidung des BGH vom 17.1.1973 hervorzuheben, in deren Leitsatz das Gericht klarstellt, dass der Liquidationswert eines zur Zeit des Erbfalls ertraglosen Unternehmens der Wertermittlung grundsätzlich nicht zugrunde gelegt werden kann, wenn das Unternehmen durch den Erben fortgeführt wird. Zur Begründung heißt es, der Liquidationswert sei bei Fortführung des Unternehmens lediglich eine theoretische Größe, die aber tatsächlich nicht wirksam werde. Daher sei es auch nicht gerechtfertigt, den Liquidationswert im Verhältnis zu Dritten, namentlich zum Pflichtteilsberechtigten, der Bewertung zugrunde zu legen. Einschränkungen gälten nur für solche Fälle, in denen eine Fortführung durch den Erben als unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten widersinnig angesehen werden müsse.
Rz. 15
Die Entscheidung und ihre Begründung sind in der Literatur zu Recht auf heftigen Widerstand gestoßen. Zutreffend führt beispielsweise Dieckmann aus, dass es wohl richtiger sei, den Pflichtteilsberechtigten nicht mit den Folgen zu belasten, die unökonomisches oder spekulatives Verhalten des Erben auslösen. Insbesondere im Hinblick auf das das Pflichtteilsrecht prägende Stichtagsprinzip ist diese Sichtweise wesentlich überzeugender als die des BGH.
Rz. 16
Der Liquidationswert bildet nach heute wohl einhelliger Auffassung der Literatur grundsätzlich die Untergrenze des der Pflichtteilsberechnung zugrunde zu legenden Unternehmenswerts. Selbst der BGH hat die ursprünglich von ihm herausgestellte Ausnahme für den Fall, dass der Erbe zur Fortführung des Unternehmens verpflichtet ist, zwischenzeitlich relativiert: Soweit am Stichtag kein positiver Ertragswert vorhanden gewesen sei, dürfe der Tatrichter auch bei einer erst drei Jahre später erfolgenden Liquidation den auf den Stichtag geschätzten Liquidationswert den Berechnungen zur Höhe des Pflichtteils(ergänzungs)anspruchs zugrunde legen.
Rz. 17
Mangels weiterer Urteile zum Pflichtteilsrecht greift die Literatur vielfach auf zum Zugewinnausgleich ergangene Entscheidungen und in diesem Zusammenhang getroffene Aussagen zurück und unterstellt – wie selbstverständlich – deren Gültigkeit auch für die Wertermittlung im Rahmen des Pflichtteilsrechts. Auch der BGH geht offenbar von der grundsätzlichen Vergleichbarkeit der Situationen bei Zugewinnausgleichs- und Pflichtteilsanspruch aus. Es stellt sich aber die Frage der Vergleichbarkeit der beiden Bewertungsanlässe.
Rz. 18
Hinsichtlich des Bewertungsziels kann wohl von einer grundsätzlichen Vergleichbarkeit ausgegangen werden: Denn zu einem Ausgleich des Zugewinns, also zur Entstehung einer Forderung des einen Ehegatten gegen den anderen, kommt es gem. § 1378 Abs. 1 BGB dann, wenn der Zugewinn eines Ehegatten den des anderen übersteigt. Die Ausgleichsforderung umfasst dann die Hälfte des Überschusses. Das Bewertungsziel besteht hier nach Auffassung des BVerfG in der Ermittlung des vollen, wirklichen Werts. Dieser Ansatz entspricht also im Wesentlichen der zum Pflichtteilsrecht getroffenen Aussage.
Rz. 19
Auch das Stichtagsprinzip zählt sowohl im einen wie auch im anderen Fall zu den prägenden Prämissen der Wertermittlung. Für die Bestimmung des Anfangsvermögens kommt es auf den Zeitpunkt des Beginns des Güterstands an (§ 1374 Abs. 1 BGB), für die Bewertung des Endvermögens auf den Zeitpunkt der Beendigung des Güterstands (§ 1372 BGB) oder der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidun...