I. Substanzwertverfahren
Rz. 35
Als Substanzwert wird die Summe der Wiederbeschaffungs- bzw. Reproduktionswerte aller zum Unternehmen gehörigen Vermögensgegenstände (Aktiva) abzüglich der Schulden und sonstigen Verbindlichkeiten bezeichnet. Der Substanzwert orientiert sich grundsätzlich am Beschaffungsmarkt, nicht an den potentiell erzielbaren Veräußerungserlösen. Voraussetzung für die Bewertung nach dem Substanzwertverfahren ist, dass die Reproduktion, also der "Nachbau" des Unternehmens, (aus der Sicht eines potenziellen Erwerbers) tatsächlich eine realistische Handlungsalternative darstellt. Dies ist umso unrealistischer, je bedeutender immaterielle Vermögensgegenstände (insbesondere der Firmenwert) für das Unternehmen sind. Denn diese können oft gar nicht "am Markt" erworben werden. In der Praxis kommt der "Nachbau" des Unternehmens meistens nicht in Betracht. Der Substanzwert kommt allein deswegen schon nicht als zuverlässiger Indikator für einen realistischen Unternehmenswert in Betracht (weitere Kritikpunkte vgl. sogleich unten).
Rz. 36
Eine Bewertung auf der Grundlage des Reproduktionswerts ist mitunter gesellschaftsvertraglich für (bestimmte) Fälle des Ausscheidens von Gesellschaftern bzw. für die Bemessung der ihnen zustehenden Abfindung vorgesehen. In den aufzustellenden Abfindungs- oder Abschichtungsbilanzen sind dann die einzelnen Vermögensgegenstände oft nicht, wie im HGB-Abschluss, mit ihren Buchwerten anzusetzen, sondern stattdessen mit ihren jeweiligen Verkehrs- bzw. Wiederbeschaffungswerten. Dabei ist – anders als bei der Bestimmung des Liquidations- oder Zerschlagungswerts – von der Prämisse auszugehen, dass das Unternehmen fortgeführt wird. Ob der Firmenwert zusätzlich zu berücksichtigen ist, wird unterschiedlich gehandhabt.
Rz. 37
Selbst wenn in der Abschichtungsbilanz ein zusätzlicher Posten für den Firmenwert oder Goodwill angesetzt wird, kann der Substanzwert dennoch keinen realistischen Unternehmenswert abbilden. Denn ein funktionierendes Unternehmen als wirtschaftlicher Organismus ist meist weit mehr wert als nur die Summe seiner Teile. Aus dem planvollen Zusammenspiel der einzelnen Komponenten und die beim Substanzwertverfahren gar nicht berücksichtigte Qualität des Managements erwirtschaftet es einen Mehrwert, der sich in den (zukünftig erzielbaren) Erträgen niederschlägt. Diese zukünftige Ertragskraft wird im Substanzwertverfahren nicht berücksichtigt. Der Substanzwert gibt daher den tatsächlichen Wert eines nach dem Bewertungsstichtag fortgeführten Unternehmens bestenfalls nur sehr ungenau wieder. Großfeld bezeichnet ihn auch zutreffend als "Teil-Rekonstruktionswert". Erschwerend kommt hinzu, dass das Ausmaß der Ungenauigkeit kaum abschätzbar ist.
Rz. 38
Die zivilrechtliche Rechtsprechung und das entsprechende Schrifttum haben daher ihre frühere Präferenz für das Substanzwertverfahren inzwischen glücklicherweise fallengelassen. Dasselbe gilt auch für sogenannte Mittelwertverfahren, bei denen es sich um Kombinationen aus Substanz- und Ertragswertmethode handelt und bei denen der Unternehmenswert sich als ein gewichtetes Mittel (z.B. 2 : 1 zugunsten des Ertragswerts) beider Werte darstellt. Dem Substanzwert kommen nach heutigem Stand aber vielfältige Hilfsfunktionen zu.
Rz. 39
Das Substanzwertverfahren soll nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung aber nach wie vor (ausnahmsweise) anzuwenden sein, wenn das zu bewertende Unternehmen im Wesentlichen aus nicht betriebsnotwendigem Vermögen besteht und sich im Betriebsvermögen vor allem Grundstücke befinden, die keine zukünftigen Erträge erwarten lassen, aber erhebliche stille Reserven bergen.