I. Vorbemerkung
Rz. 46
Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat den aus seiner Sicht maßgeblichen Stand der Wissenschaft und die daraus abzuleitenden Grundsätze für die praktische Durchführung von Unternehmensbewertungen in der – von Zeit zu Zeit fortgeschriebenen – Verlautbarung IDW S 1 "Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen" zusammengefasst. Die dort aufgestellten Grundsätze sind allgemein akzeptiert und können auch als gerichtsfest angesehen werden.
Rz. 47
Die Vorgaben des IDW sind allerdings nicht allein auf die Ermittlung von Stichtagswerten zugeschnitten. Vielmehr ist zwischen verschiedenen Bewertungsanlässen und verschiedenen Bewertungsperspektiven zu unterschieden. So ist etwa die Berücksichtigung sog. echter Synergieeffekte nur aus der Sicht eines konkreten Erwerbers sinnvoll, weil nur unter Einbeziehung der bei diesem vorhandenen betrieblichen bzw. unternehmerischen Gegebenheiten die Existenz bzw. die Auswirkung von Synergieeffekten beurteilt werden kann.
Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich auf die Aspekte, die – nach IDW S 1 – die Ermittlung objektivierter Stichtagswerte betreffen. Die Perspektive des Bewerters ist dabei die eines neutralen Sachverständigen.
II. Bewertungsansatz
Rz. 48
Nach überwiegender Ansicht in der Betriebswirtschaftslehre sowie nach den berufsständischen Empfehlungen der Wirtschaftsprüfer ist das Ertragswertverfahren (neben der im angloamerikanischen Raum stärker verbreiteten DCF-Methode, siehe Rdn 133 ff.) derzeit die im Regelfall maßgebliche Bewertungsmethode.
Rz. 49
Das Ertragswertverfahren basiert auf der Idee der Diskontierung der den Unternehmenseignern zukünftig zufließenden finanziellen Überschüsse auf den Bewertungsstichtag. Die erwarteten finanziellen Überschüsse werden grundsätzlich aus den zu prognostizierenden zukünftigen handelsrechtlichen Erfolgen des Unternehmens abgeleitet. Ausgangspunkt der Bewertung sind die den Unternehmenseignern zufließenden Einnahmen (entnahmefähige Gewinne) bzw. Ausschüttungen.
Rz. 50
Grundlage dieses Ansatzes ist die Überlegung, dass ein Unternehmen so viel wert ist, wie sich in der Zukunft an Erträgen aus ihm erwirtschaften ("herausholen") lässt. Der "wirkliche" Wert entspricht nach dieser Methode also dem zu erwartenden (auf den Stichtag abgezinsten) Zukunftserfolg.
Rz. 51
Der richtige Unternehmenswert ist also – jedenfalls theoretisch – der Barwert aller zukünftig erzielbaren, auf den Bewertungsstichtag abgezinsten Unternehmenserfolge (= Einnahmeüberschüsse).
Rz. 52
Das klingt in der Theorie recht einfach, stößt in der Praxis jedoch auf das Problem, da der theoretisch als Bewertungsmaßstab dienende Einnahmeüberschuss bei bilanzierenden Unternehmen normalerweise gar nicht ermittelt wird.
Rz. 53
Denn in der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) des handelsrechtlichen Jahresabschlusses spiegelt der Ertrag (Überschuss der Erträge über die Aufwendungen) den Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens im abgelaufenen Wirtschaftsjahr wider. Außerdem wird der handelsrechtliche Jahresüberschuss ganz maßgeblich durch das Vorsichtsprinzip des § 252 Abs. 1 S. 4 HGB geprägt, so dass er nicht mit dem der Unternehmensbewertung zugrunde zu legenden Einnahmeüberschuss übereinstimmt. Daher sind im Vorfeld einer Bewertung diverse Bereinigungen/Modifikationen erforderlich, durch die die wesentlichen Grundgedanken der Einnahmeüberschussrechnung auf die aus dem Rechnungswesen des Unternehmens abgeleiteten Aufwands- und Ertragsrechnungen übertragen werden.
Rz. 54
Dessen ungeachtet wird in der Praxis stets vom "Ertrag" bzw. "Ertragswert" gesprochen. Gemeint ist dabei stets der Wert der zukünftigen Ertragskraft des Unternehmens. Daher kann das Ertragswertverfahren auch als prognoseorientierte Bewertungsmethode bezeichnet werden. Der Geschäfts- oder Firmenwert (Goodwill) ist grundsätzlich als wertbestimmender Faktor im Ertragswert enthalten, er wird also nicht gesondert in Ansatz gebracht.