1. Maßgeblichkeit des Bewertungszwecks
Rz. 55
Wie bereits erwähnt stehen die anzuwendende Bewertungsmethode sowie die einzubeziehenden Parameter stets in Abhängigkeit zum Bewertungszwecke. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist daher zu klären, welchem Zweck die Unternehmensbewertung dienen soll. Bei der Ermittlung subjektiver Entscheidungswerte oder etwa eines Einigungswerts ist von anderen Annahmen hinsichtlich der Prognose und Diskontierung der künftigen finanziellen Überschüsse auszugehen, als bei der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts.
Rz. 56
Im Rahmen pflichtteilsrechtlicher Auseinandersetzungen bzw. der Analyse pflichtteilsrechtlicher Ansprüche gilt es stets, den objektivierten Unternehmenswert (aus der Sicht eines "idealen Erben") festzustellen. Eine individuelle Betrachtung ist ausdrücklich nicht gewollt. Individuelle Einschätzungen sind daher durch nachvollziehbare Typisierungen zu ersetzen, so dass ein intersubjektiv nachprüfbarer Zukunftserfolgswert aus Sicht eines typisierten Anteilseigners ermittelt wird. Denn das Ziel der Unternehmensbewertung ist es hier, den objektivierten Unternehmenswert aus der Sicht eines gedachten Erwerbers festzustellen. "Gedachter Erwerber" bedeutet dabei, dass auf einen idealtypischen Erwerber abzustellen ist, nicht auf eine möglicherweise vorstellbare konkrete Motivation oder irgendwelche – bei bestimmten Erwerbern denkbare – Synergieeffekte.
Soweit der Bewertung die Prämisse zugrunde gelegt wird, dass das Unternehmen am Stichtag verkauft worden wäre, sind auch die damit einhergehenden Steuerlasten typisiert zu berücksichtigen. Dabei können auch die im Bereich des Zugewinnausgleichs in Rechtsprechung und Literatur diskutierten Aspekte, insbesondere betreffend die Berücksichtigung eines sog. Tax Amortisation Benefit, eine Rolle spielen.
2. Wirtschaftliche Unternehmenseinheit als Bewertungsobjekt
Rz. 57
Unternehmen sind nicht nur mehr oder weniger willkürliche Ansammlungen von Vermögensgegenständen und Schulden. Vielmehr entsteht durch die zweckgerichtete Kombination von materiellen und immateriellen Werten eine Art "lebender" Organismus“, der durch das Zusammenwirken aller seiner Bestandteile in der Lage ist, finanzielle Überschüsse zu erwirtschaften. Daher wird auch der Wert eines Unternehmens nicht durch die Summe der Werte der einzelnen Bestandteile des Vermögens und der Schulden bestimmt, sondern durch das Zusammenwirken all dieser Werte. Daher muss der Bewertung die Betrachtung des Unternehmens als Gesamtheit zugrunde liegen.
Rz. 58
Die Bewertung muss daher alle an der Erwirtschaftung des Unternehmenserfolgs beteiligten Faktoren vollständig erfassen und in die Analyse mit einbeziehen. Das gilt auch dann, wenn die auf rein betriebswirtschaftlicher Grundlage vorgenommene Abgrenzung des Unternehmensvermögens mit den formaljuristischen Gegebenheiten nicht übereinstimmt. Denn das Bewertungsobjekt muss zunächst nach wirtschaftlichen Kriterien definiert werden.
3. Stichtagsprinzip
Rz. 59
Jede Bewertung ist grundsätzlich zeitpunktbezogen. Das gilt auch für die Unternehmensbewertung. Der Bewertungsstichtag determiniert, welche finanziellen Überschüsse den bisherigen Unternehmenseignern bereits zugeflossen sind und daher bei der Beurteilung der zukünftigen Ertragskraft nicht mehr berücksichtigt werden dürfen, und ab welchem Zeitpunkt zu erwartende bzw. schon realisierte finanzielle Überschüsse den künftigen Eigentümern zuzurechnen sind. Gegenstand der Bewertung ist also die zum Stichtag vorhandene Ertragskraft des Unternehmens (Stichtagsprinzip).
Rz. 60
Diese kaufmännischen Erwägungen sind (jedenfalls teilweise) sogar im BGB abgebildet:
Bei Personenhandelsgesellschaften folgen das Stichtagsprinzip sowie der Grundsatz der Bewertung der vorhandenen Ertragskraft bereits aus der Vorschrift des § 728 Abs. 1 S. 1 BGB (früher § 738 Abs. 1 S. 1 BGB). Gemäß § 728 Abs. 2 BGB (früher § 738 Abs. 2 BGB) kann der Wertansatz im Wege der Schätzung bestimmt werden. Schon unter der Geltung des § 738 Abs. 1 S. 1 BGB (a.F.), n...