Rz. 178
Neben den ertragswertorientierten Bewertungsmethoden (Ertragswertverfahren, DCF-Methode) kennt auch die Betriebswirtschaftslehre andere Verfahren zur Bestimmung von Unternehmenswerten. Insoweit geht es insbesondere um vereinfachte Preisfindungsverfahren, wie z.B. die Anwendung von Ergebnismultiplikatoren sowie von Umsatz- oder Produktmengen orientierten Multiplikatoren.
Rz. 179
Grundsätzlich sind zwei verschiedene Arten von Multiplikatoren (sog. Market Multiples) zu unterscheiden: Auf der einen Seite geben sog. Trading Multiples Verhältnisrechnungen wieder, die auf Kursen börsennotierter Unternehmen beruhen (z.B. Kurs/Gewinn-Verhältnis, KGV). Zum anderen bilden Transaction Multiples Verhältniszahlen ab, die von effektiven Preisen bei Unternehmensverkäufen abgeleitet wurden (EBIT-Multiple, Umsatz-Multiple, Produktmengen-Multiple).
Rz. 180
Bei Anwendung von Multiplikatoren ergibt sich der Preis für das Unternehmen als Produkt einer als repräsentativ angesehenen Kenngröße mit einem branchen- bzw. unternehmensspezifischen Faktor. Dieser ist insbesondere Ausdruck der typisierten (allgemeinen bzw. branchenspezifischen) Kapitalkosten, der Risikoneigung potentieller Erwerber sowie des Verhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage für vergleichbare Unternehmen auf dem Markt.
Umsatz- oder produktmengenorientierte Multiplikatoren werden in der Praxis insbesondere zur Ermittlung der Marktpreise für kleinere Dienstleistungsunternehmen herangezogen. Den wesentlichen Werttreiber stellt bei diesen Unternehmen der Wert des verkehrsfähigen Kundenstamms dar. Das gilt auch bei freiberuflichen Praxen, deren Wert im Wesentlichen durch den übertragbaren Mandantenstamm bestimmt wird.
Rz. 181
Das Multiplikationsergebnis ist je nach verwendetem Multiple noch anzupassen, um den für eine Kaufentscheidung schlussendlich maßgeblichen Wert zu ermitteln. Das gilt insbesondere für Multiples, die auf die Bestimmung des Enterprise-Value (Unternehmenswert, unabhängig von der Verschuldung) abzielen, z.B. (EBIT- bzw. EBIT/DA-Multiples). Denn hier rechnet man mit einer Ertragsgröße, die zuvor um Zinsaufwendungen, Steuern und ggf. auch Abschreibungen bereinigt wurde. Die Finanzierungsstruktur des Bewertungsobjekts wird also durch die bloße Multiplikation des EBIT bzw. EBIT/DA nicht abgebildet. Daher muss zur Ableitung des Equity Value (Wert des Eigenkapitals) aus dem Enterprise Value noch ein Abzug der Verbindlichkeiten erfolgen. Die Definition der dabei zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten bildet in der Praxis oftmals einen Streitpunkt zwischen den potentiellen Vertragsparteien (Käufer und Verkäufer). Vielfach wird auf die sog. zinstragenden Verbindlichkeiten abgestellt, wodurch insbesondere Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen und die meisten Rückstellungen (Working Capital) aus den abzuziehenden Verbindlichkeiten ausgesondert werden. Allerdings ergeben sich auch hier regelmäßig unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der Behandlung von Pensionsrückstellungen, die jedoch vom Grundsatz her i.d.R. als zinstragende Verbindlichkeiten und daher als Abzugsposten anzusehen sein werden.
Rz. 182
Auch bei Umsatz- bzw. Produktmengen-Multiples ist zumeist eine zweistufige Vorgehensweise erforderlich, da auch diese Multiplikatoren die konkrete Finanzierungsstruktur des Unternehmens i.d.R. nicht abbilden. Im Hinblick darauf, dass eine "typische Finanzierungsstruktur" am Markt kaum feststellbar ist, wird daher bei der Multiple-Ermittlung regelmäßig auf Enterprise Values abgestellt.
Rz. 183
Grundlage für die Ableitung von Multiplikatoren sind Unternehmen die in derselben Branche tätig sind und vergleichbare Merkmale hinsichtlich Wachstumsrate, Wettbewerbsposition, Risikostruktur und Rendite aufweisen (Peer Group). Die Hauptschwierigkeit bei der Anwendung von Multiplikatoren besteht darin, im konkreten Einzelfall eine unternehmensadäquate Bezugsgröße (EBIT, Umsatz etc.) auszuwählen und hierfür einen Multiplikator zu definieren, der aus einer mit dem konkreten Bewertungsobjekt vergleichbaren Peer-Group abgeleitet wurde. Aktuelle Multiplikatoren können zwar unschwer der einschlägigen Fachpresse entnommen werden, diese können jedoch nur einen groben Anhalt bieten, da die Einteilung in verschiedene Branchen vergleichsweise grob vorgenommen wird und auch die Größenklassen der betrachteten Unternehmen sehr große Bandbreiten umfassen.
Rz. 184
Nach Auffassung des IDW können Multiplikator-Verfahren nur zur Plausibilitätskontrolle von nach dem Ertragswert- oder dem DCF-Verfahren bestimmten Unternehmenswerten herangezogen werden. Dies gilt auch für die Bewertung von großen Unternehmen, die durch die "Entscheider" (Geschäftsführung, Vorstand) sehr häufig zunächst durch Anwendung von Multiples bewertet werden, und zwar sowohl bei strategischen Investitionen als auch bei Erwerben bzw. Veräußerungen durch Finanzinvestoren. Die Bewertung nach IDW S 1 bildet hier oft nur eine Kontrollüberlegung.