Ralf Knaier, Dr. Peter Stelmaszczyk
I. Einführung
1. Unionsrechtlicher Hintergrund
Rz. 393
Die Förderung der grenzüberschreitenden Unternehmensmobilität steht seit geraumer Zeit auf der Agenda der Europäischen Kommission. Sie ist Kernbestandteil der Gesamtstrategie für die Verbesserung der Funktionsweise des Binnenmarktes und zielt darauf ab, Unternehmen einen klaren und berechenbaren Rechtsrahmen für die Ausübung ihrer primärrechtlich gewährten Niederlassungsfreiheit bereitzustellen. Hierdurch soll das Potenzial des Binnenmarktes ausgeschöpft und die Wettbewerbsfähigkeit der EU insgesamt gesteigert werden.
Rz. 394
Gleichwohl beschränkten sich die sekundärrechtlichen Regelungen im Bereich der grenzüberschreitenden Umwandlungen lange Zeit auf spezielle Vorgaben für grenzüberschreitende Verschmelzungen von EU-Kapitalgesellschaften durch die Cross-Border Mergers Directive (CBMD) aus dem Jahr 2005. Im Hinblick auf grenzüberschreitende Formwechsel hatte die Kommission zwar bereits 1997 einen Vorentwurf für eine Sitzverlegungsrichtlinie veröffentlicht, das Legislativvorhaben wurde in der Folgezeit jedoch immer wieder verschoben. Im Ergebnis bestand bisher für grenzüberschreitende Verschmelzungen von Personengesellschaften sowie für grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen bislang kein einheitlicher EU-Rechtsrahmen.
Rz. 395
So war es der EuGH, der das legislative Vakuum der EU (zumindest ansatzweise) füllte und in einer Reihe wegweisender Entscheidungen eine umfassende Umwandlungsfreiheit von EU-Gesellschaften auf der Grundlage der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV statuierte: Nahezu zeitgleich mit Verabschiedung der CBMD entschied der EuGH in der Rs. SEVIC, dass grenzüberschreitende Verschmelzungen durch die Niederlassungsfreiheit geschützt sind. In seinem Urteil in der Rs. VALE vom 12.7.2012 bestätigte der EuGH sodann die bereits im SEVIC-Urteil angedeutete und im Cartesio-Urteil – wenn auch nur obiter dictum – getroffene Feststellung, dass auch der grenzüberschreitende Formwechsel (im Sinne einer grenzüberschreitenden statutenwechselnden Sitzverlegung) von der Niederlassungsfreiheit geschützt wird. Mit Urt. v. 25.10.2017 in der Rs. Polbud entschied der EuGH in Fortführung seiner VALE-Rspr., dass der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit grds. auch den grenzüberschreitenden Formwechsel in Form der isolierten Verlegung des Satzungssitzes umfasst. Die Frage, ob die Niederlassungsfreiheit auch grenzüberschreitende Spaltungen in ihren Schutzbereich mit einbezieht, musste der EuGH zwar noch nicht entscheiden. Doch ergibt sich aus der Zusammenschau der Urteile SEVIC und VALE, dass Art. 49, 54 AEUV Gesellschaften auch eine "Spaltungsfreiheit" über die Grenze eröffnen.
Rz. 396
Allerdings hat der EuGH in seinen Entscheidungen allein die grds. Zulässigkeit von grenzüberschreitenden Umwandlungen festgestellt. Die Einzelheiten des Verfahrens hat er ebenso wenig konturiert wie die materiellen Schutzbestimmungen für Minderheitsgesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer. Als Folge bestanden in der Vergangenheit weiterhin erhebliche Rechtsunsicherheiten, weshalb sich die praktische Durchführung einer Spaltung oder eines Formwechsels über die Grenze sehr schwierig gestalten konnte. So führte die fehlende Koordinierung der Verfahren in der Praxis mal zu einer wenig effizienten Doppelprüfung der Wegzugs- und Zuzugsvoraussetzungen durch die beteiligten Kontrollstellen der Mitgliedstaaten, mal zur konstitutiven Eintragung der Gesellschaft im Register des Zielstaates, ohne dass die Voraussetzungen des Ausgangsmitgliedstaates auch nur ansatzweise eingehalten wurden. Die fehlende Harmonisierung der materiellen Bestimmungen für den Stakeholderschutz führte dazu, dass die legitimen Interessen der betroffenen Bezugsgruppen in einigen Mitgliedstaaten nur unzureichend geschützt wurden, während in anderen Mitgliedstaaten überzogene Anforderungen legitime Umwandlungen blockieren konnten.
Rz. 397
Es darf vor diesem Hintergrund zweifelsohne als ein Erfolg gewertet werden, dass sich das Europäische Parlament und der Rat noch kurz vor den Europawahlen im Mai 2019 auf die neue EU-Umwandlungsrichtlinie (UmwRL) geeinigt haben. Damit wird eine weitere Harmonisierungslücke im Europäischen Gesellschaftsrecht geschlossen und erstmals ein umfassender Rechtsrahmen für die grenzüberschreitende Umwandlung von Unternehmen geschaffen. Rechtstechnisch nimmt die UmwRL hierzu Änderungen an der Richtlinie (EU) 2017/1132 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (GesRRL) vor: Zum einen werden die in der CBMD niedergelegten Vorgaben zur grenzüberschreitenden Verschmelzung, die mittlerweile in Art. 118 ff. GesRRL kodifiziert sind, novelliert. Zum anderen werden erstmals einheitliche Regelungen für grenzüberschreitende Spaltungen und Formwechsel geschaffen. Dazu werden Art. 160a–160u und Art. 86a–86t neu in die GesRRL aufgenommen.
Rz. 398
Der hohe Zeitdruck, unter dem das Legislativverfahren stand, führte allerdings dazu, dass der im ...