Ralf Knaier, Dr. Peter Stelmaszczyk
Rz. 463
Neu ist auch die durch Art. 86m Abs. 8, 127 Abs. 8, 160m Abs. 8 GesRRL vorgeschriebene Missbrauchskontrolle: Die zuständige Kontrollstelle muss bei Vorliegen von Anhaltspunkten prüfen, ob die grenzüberschreitende Umwandlung zu missbräuchlichen oder betrügerischen Zwecken, die dazu führen oder führen sollen, sich Unionsrecht oder innerstaatlichem Recht zu entziehen oder es zu umgehen, oder zu kriminellen Zwecken vorgenommen werden soll (nachfolgend "missbräuchliche Zwecke"); ist dies der Fall, so hat es die Eintragung abzulehnen (§§ 316 Abs. 3 Satz 1–2, 329 Satz 1, 343 Abs. 3 Satz 1–2 UmwG). Missbräuchliche Zwecke sind ausweislich der Regierungsbegründung die Ausnahme vom Regelfall grenzüberschreitender Umwandlungen. Liegen dem Gericht keine Anhaltspunkte vor, dass die übertragende Gesellschaft missbräuchliche Zwecke verfolgt, bedarf es keiner weiteren Sachverhaltsermittlungen durch das Registergericht. Die Erteilung der Vorabbescheinigung setzt somit gerade nicht voraus, dass das Registergericht davon überzeugt ist, dass kein Missbrauch vorliegt, sondern es ist vielmehr ausreichend, dass keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch vorliegen. Ob die Umwandlung zu missbräuchlichen Zwecken vorgenommen werden soll, hat das befasste Registergericht stets auf Grundlage der Betrachtung des Einzelfalls zu beurteilen, wobei die nationalen Umsetzungsvorschriften im Lichte der vorgenannten Richtlinienbestimmungen einschließlich der dazugehörigen Erwägungsgründe Nr. 35 und 36 UmwRL und des durch die Rspr. des EuGH geprägten unionsrechtlichen Missbrauchsbegriffs anzuwenden sind. Aufgrund dieser unionsrechtlichen Prägung hatte der UmRUG-RegE noch bewusst davon abgesehen, den Missbrauchsbegriff in §§ 316 Abs. 3 Satz 1–2, 329 Satz 1, 343 Abs. 3 Satz 1–2 UmwG durch negative oder positive Kriterien tatbestandlich zu konkretisieren, sondern es im Wesentlichen bei Auslegungshinweisen in der Regierungsbegründung belassen.
Rz. 464
Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hat schließlich jedoch drei arbeitnehmerschutzbezogene Anhaltspunkte für das Vorliegen missbräuchlicher Zwecke ergänzt (§§ 316 Abs. 3 Satz 4, 329 Satz 1, 343 Abs. 3 Satz 4 UmwG). Rechtsdogmatisch wurden hierzu die noch im Regierungsentwurf lediglich in der Begründung enthaltenen Anhaltspunkte in den Tatbestandsrang erhoben, und zwar in Form von Regelbeispielen, bei deren Erfüllung das Registergericht zur Durchführung einer Missbrauchsprüfung verpflichtet ist. Dennoch bleibt es dabei, dass missbräuchliche Zwecke ausweislich der Regierungsbegründung die Ausnahme vom Regelfall grenzüberschreitender Umwandlungen sind und das Registergericht keine umfassende Prüfung durchführen muss, wenn ihm keine Anhaltspunkte vorliegen, dass die übertragende bzw. formwechselnde Gesellschaft missbräuchliche Zwecke verfolgt. Nach §§ 316 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1, 329 Satz 1, 343 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 UmwG liegen Anhaltspunkte für die Verfolgung missbräuchlicher Zwecke insbesondere vor, wenn ein durchzuführendes Verhandlungsverfahren zur Unternehmensmitbestimmung erst auf Aufforderung des Gerichts eingeleitet worden ist. Weitere Anhaltspunkte für das Vorliegen missbräuchlicher Zwecke bestehen nach §§ 316 Abs. 3 Satz 4 Nr. 3, 329 Satz 1, 343 Abs. 3 Satz 4 Nr. 3 UmwG, wenn eine ausländische Gesellschaft durch die grenzüberschreitende Umwandlung Schuldnerin von Betriebsrenten oder -anwartschaften wird und kein anderweitiges operatives Geschäft hat. Nach §§ 316 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2, 329 Satz 1, 343 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 UmwG liegen weiterhin Anhaltspunkte für die Verfolgung missbräuchlicher Zwecke vor, wenn die Zahl der Arbeitnehmer mindestens vier Fünftel des für die Unternehmensmitbestimmung maßgeblichen Schwellenwerts beträgt, im Zielland keine Wertschöpfung erbracht wird und der Verwaltungssitz in Deutschland verbleibt. Vor allem dem letztgenannten Regelbeispiel wurde in ersten Stellungnahmen zum UmRUG die Unionsrechtskonformität abgesprochen. In der Tat scheint dieses Regelbeispiel vor dem Hintergrund der durch Art. 49, 54 AEUV garantieren Niederlassungsfreiheit und deren Auslegung durch den EuGH in der Rs. Polbud, die eine isolierte Verlegung des Satzungssitzes ausdrücklich zulassen, zu weit zu gehen. Ganz im Sinne dieser Entscheidung stellt denn auch die Regierungsbegründung klar, dass die bloße Absicht, in den Genuss günstiger Rechtsvorschriften zu gelangen (sog. Rechtsarbitrage) angesichts der Niederlassungsfreiheit für sich genommen noch keinen Missbrauch begründet. Das Regelbeispiel ist mithin unionsrechtskonform einschränkend dahingehend auszulegen, dass bei der grenzüberschreitenden Umwandlung einer Gesellschaft, deren Arbeitnehmerzahl mindestens vier Fünftel des für die Unternehmensmitbestimmung maßgeblichen Schwellenwerts beträgt, auch dann für sich genommen noch keine Anhaltspunkte für die Verfolgung missbräuchliche Zwecke – und damit eine umfassende Prüfungspflicht des Registergerichts – vorliegen, wenn im Zielmitgliedstaa...