Rz. 55
Der BGH hatte folgenden Sachverhalt zu beurteilen: Die am 10.6.1993 verstorbene Erblasserin hatte drei Kinder: den Kläger, einen schon 1984 ohne Kinder verstorbenen Sohn und den Vater der Beklagten. Dieser hatte am 30.8.1972 durch notariellen Vertrag mit der Erblasserin auf sein gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht gegen eine Abfindung verzichtet. Er starb am 17.1.1979 und wurde von seiner zweiten Ehefrau und seinen beiden Kindern aus erster Ehe, der Beklagten und ihrem Bruder, beerbt. Durch Testament vom 27.1.1992 setzte die Erblasserin die Beklagte als Alleinerbin ein. In einem notariellen Vertrag vom 18.8.1972 vereinbarte die Erblasserin mit der Beklagten und ihrem Bruder die Aufhebung des Erbverzichts aus dem Jahre 1992, wobei klargestellt wurde, dass der Pflichtteilsverzicht nach wie vor bestehen bleibe.
Es kam nun zum Streit darüber, ob die Aufhebung des Erbverzichts wirksam war. Die Instanzengerichte hatten angenommen, der Erbverzicht sei wirksam aufgehoben worden, was vom BGH jedoch nicht bestätigt wurde. Der BGH war vielmehr der Auffassung, dass der Erbverzicht nur von den Vertragschließenden selbst zu deren Lebzeiten hätte aufgehoben werden können. Nach herrschender Auffassung könne aber auch Vertragspartner eines Aufhebungsvertrages mit dem Erblasser nur der Verzichtende selbst sein, auch wenn dies anders als beim Erbvertrag beim Erbverzicht nicht ausdrücklich aus dem Gesetz hervorgehe.
Rz. 56
Der BGH begründet diese Auffassung insbesondere damit, dass der Erbverzicht kraft Gesetzes den ganzen Stamm des Verzichtenden erfasse, auch wenn der Verzicht nicht zugleich im Namen der Abkömmlinge des Verzichtenden erklärt worden sei bzw. diese dem Verzicht nicht zugestimmt hätten. Damit ermögliche § 2349 BGB dem Verzichtenden einen Eingriff in das von seinem gesetzlichen Erbrecht an sich unabhängige gesetzliche Erbrecht seiner Abkömmlinge. Bei dieser Regelung ist man im Gesetzgebungsverfahren davon ausgegangen, dass der Erbverzicht häufig dem Ziel einer vorweggenommenen Erbfolge des Verzichtenden gegen Abfindung dient. Geht man davon aus, entspricht es nicht dem Willen der Beteiligten und auch nicht der Billigkeit, den Abkömmlingen des Verzichtenden gleichwohl die Geltendmachung ihres Erbrechts zu gestatten, obwohl der vorangehende Teil des Stammes einen wirksamen Verzicht ausgesprochen hat.
Rz. 57
Der Verzichtende ist Repräsentant seines Stammes. Daher ist er auch zur Aufhebung des Erbverzichts nach § 2351 BGB alleine in der Lage und bedarf insoweit ebenfalls nicht der Zustimmung seiner Abkömmlinge. Kommt es aber zu Lebzeiten des Verzichtenden nicht zu einer Aufhebung des Erbverzichts, dann muss aus Gründen der Rechtsklarheit mit dem Tod des Verzichtenden feststehen, dass er und sein Stamm endgültig aus der gesetzlichen Erbfolge nach dem Erblasser ausgeschieden sind. Die vorweggenommene Erbfolge, an der sich der Gesetzgeber bei seiner Regelung des Erbverzichts orientierte, ist damit in der Person des Verzichtenden unabänderlich geworden mit der Wirkung, dass sich auch der Stamm des Verzichtenden mit dem zufrieden geben muss, was der Verzichtende für seinen Erbverzicht von dem Erblasser empfangen hat.
Rz. 58
Die Auffassung der Instanzengerichte, dass mit dem Tod des Verzichtenden dessen Abkömmlinge nach § 1924 Abs. 3 BGB in seine Stellung rückten und damit auch mit dem Erblasser eine Aufhebung des Erbverzichts vereinbaren könnten, fand beim BGH keine Billigung. Der an sich gegebenen Erbaussicht der Enkel steht weiterhin der Erbverzicht des dem Stamm repräsentierenden Verzichtenden entgegen. Jedenfalls im Hinblick auf die Wirkungen des Erbverzichts nach § 2310 S. 2 BGB liege die Annahme fern, die Wirkungen des Erbverzichts könnten durch seine Aufhebung auch dann noch beseitigt werden, wenn der Verzichtende verstorben und die Erbfolge in der Person des Verzichtenden unabänderlich geworden sei. Schließlich kann der Erblasser die Abkömmlinge des Verzichtenden ja ohne Weiteres testamentarisch bedenken. Eine Befugnis des Erblassers allerdings, die kraft Gesetzes eingetretene Erhöhung der Quote eines Pflichtteilsberechtigten nach dem Tod des Verzichtenden und ohne Zustimmung des gem. § 2310 S. 2 BGB Begünstigten wieder rückgängig zu machen, lässt sich mit den Grundsätzen des gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsrechts nicht vereinbaren. Andernfalls könnten die Abkömmlinge des Verzichtenden dessen Motive für den Erbverzicht durchkreuzen. Oft liegt der Fall vor, dass der Verzichtende den Verzicht im Interesse der Erhöhung der Pflichtteilsquote seiner Geschwister oder gerade zu dem Zweck auf sein gesetzliches Pflichtteilsrecht verzichtet hat, seine Abkömmlinge auszuschließen. Daher ist nicht einzusehen, dass die Abkömmlinge gleichwohl berechtigt sein sollten, nach dem Tod des Verzichtenden im Zusammenwirken mit dem Erblasser ihre abweichenden Interessen durchzusetzen.
Rz. 59
Mit dieser bis heute maßgeblichen Entscheidung zur Frage der Aufhebung eines Erbverzichts sind zwei Dinge klargestellt: