Rz. 22
Gerade bei der Anordnung einer Unternehmensnachfolge kommt es häufiger zu Verzichtserklärungen zugunsten eines Dritten, nämlich zugunsten des auserkorenen Unternehmensnachfolgers. Derartige Verzichtserklärungen kommen dann allerdings auf den Prüfstand, wenn der Unternehmensnachfolger vom Erblasser noch ausgetauscht wird oder später ersatzlos wegfällt. Bleibt es dann bei dem Erbverzicht? Ist möglicherweise in diesen Fällen von einem Pflichtteilsverzicht auszugehen?
Der BGH hatte hier einmal Gelegenheit, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen, wenngleich er in der Sache selbst nicht entscheiden musste. Der Erblasser hatte im Jahre 1981 seinen Sohn, den späteren Kläger, zum Alleinerben eingesetzt und einige Jahre später mit seinem zweiten Sohn, dem Bruder des Klägers, einen notariellen "Erbschafts- und Pflichtteilsverzichtsvertrag" geschlossen. Dann allerdings setzte er in einem späteren Testament den Beklagten, seinen Cousin, zum Alleinerben ein. Hier war anschließend streitig, welche Ansprüche der so enterbte Kläger geltend machen konnte: Hat er einen Pflichtteilsanspruch von 50 %, da sein Bruder ja auf das gesetzliche Erbrecht und das Pflichtteilsrecht verzichtet hatte (Vorversterbensfiktion des § 2310 S. 2 BGB) oder hatte er nur einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von 25 %, weil möglicherweise der Verzicht des Bruders unwirksam war.
Rz. 23
Die Unwirksamkeit dieses von dem Bruder erklärten Erbverzichts wurde in der Vorinstanz vom OLG Düsseldorf aus § 2350 BGB hergeleitet. Diese Vorschrift beschäftigt sich mit einem Verzicht zugunsten eines anderen. Verzichtet jemand zugunsten eines anderen auf das gesetzliche Erbrecht, so soll im Zweifel dieser Verzicht nur dann gelten, wenn der andere auch Erbe wird. Wenn ein Abkömmling auf das gesetzliche Erbrecht verzichtet, ist im Zweifel anzunehmen, dass der Verzicht nur zugunsten der anderen Abkömmlinge oder des Ehegatten oder Lebenspartners des Erblassers gelten soll.
Der BGH war der Auffassung, dass die Reduktion des Sachverhaltes auf eine Prüfung des § 2350 BGB vorschnell gewesen sei.
Die Vorschrift enthält zwei Auslegungsregeln. Diese kommen aber erst dann zur Anwendung, wenn zuvor erfolglos versucht worden ist, den Willen der beiden Parteien des Verzichtsvertrags zu ermitteln. Wenn also ein derartiger Erbverzicht nach seinem Wortlaut keine weiteren Hinweise enthält, fordert der BGH dennoch eine Auslegung dieses Verzichtes nach dem Gesamtzusammenhang. Wenn diese Auslegung erfolglos bleibt, steht nach Meinung des BGH immer noch nicht fest, ob tatsächlich eine Unwirksamkeit des Verzichtes nach § 2350 BGB die Folge ist. Vielmehr stellt sich dann im Rahmen des § 139 BGB die Frage, ob die Parteien des Verzichtsvertrages bei Unwirksamkeit eines Gesamtverzichts nicht zumindest einen isolierten Pflichtteilsverzicht gewollt hätten, darüber hinaus, ob nicht der möglicherweise unwirksame Erbverzicht als Pflichtteilsverzicht nach § 2346 Abs. 2 BGB aufrechtzuerhalten ist.
Rz. 24
Das Ergebnis hängt von der Antwort auf die Frage ab, welche Entscheidung die Parteien des Verzichtsvertrages bei Kenntnis der Sachlage nach Treu und Glauben und bei vernünftiger Abwägung getroffen hätten.
Die Entscheidung zeigt noch einmal deutlich die Tücken des Erbverzichts, der im vorliegenden Falle bei uneingeschränkter Annahme der Wirksamkeit dazu geführt hätte, dass der enterbte Kläger einen Pflichtteilsanspruch von 50 % gehabt hätte. Würde man den Verzicht als Pflichtteilsverzicht aufrechterhalten oder über § 139 BGB den ebenfalls erklärten Pflichtteilsverzicht für wirksam halten, wäre der Kläger auf einen Pflichtteilsanspruch von 25 % zu verweisen gewesen.
Entscheiden konnte der BGH das letztlich nicht, er gab aber den Hinweis, dass es wohl darauf ankomme, ob der Erblasser durch letztwillige Verfügung vorhandene weitere Pflichtteilsberechtigte von der Erbfolge ausgeschlossen hatte, sodass nach dem Willen der Beteiligten der Erbverzicht Dritten keine Vorteile verschaffen sollte, oder aber ob der Erblasser bei weiteren Pflichtteilsberechtigten bereits einen Dritten zum Erben eingesetzt hatte. In diesen Fällen allerdings taucht berechtigterweise die Frage auf, ob überhaupt ein Erbverzicht sinnvollerweise erklärt werden sollte, denn hier würde ja ein Pflichtteilsverzicht genügen. In den Fällen, in denen man ausnahmsweise einmal zu einem Erbverzicht greift, empfiehlt es sich also sehr deutlich zu regeln, ob der Verzicht zugunsten der in § 2350 Abs. 2 BGB bezeichneten Personen erfolgt oder ob er unbedingt ist.
Dass der BGH in seinem Urteil die Beweislast bei demjenigen ansiedelt, der entgegen den Vermutungen des § 2350 BGB aus dem unbedingten Verzicht Rechte herleiten will, erscheint zumindest diskussionswürdig.