I. Allgemeines
Rz. 79
Ein Zuwendungsverzicht im Sinne des § 2352 BGB kann sich als zweckmäßig erweisen, wenn Widerruf oder Aufhebung nicht mehr möglich sind.
Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Erblasser selbst geschäftsunfähig geworden ist, er also seine Verfügungen nicht mehr aufheben kann. Sein gesetzlicher Vertreter könnte hier einen Zuwendungsverzichtsvertrag abschließen.
Rz. 80
Noch wichtiger wird ein Zuwendungsverzicht in den Fällen, in denen der lebzeitig abgeschlossene Erbvertrag/das gemeinschaftliche Testament verbindliche Schlusserbeneinsetzungen vorsieht, die sich aber nach dem Tod des ersten der Ehegatten als nicht mehr sinnvoll herausstellen. Angesichts der eingetretenen Bindungswirkung nach dem Tod des Erstversterbenden ist eine davon abweichende letztwillige Regelung nicht mehr möglich. Hier bringt der Zuwendungsverzicht die Möglichkeit, eine solche bindend eintretende Rechtsfolge zu verhindern.
II. Folgerungen der Erbrechtsreform
Rz. 81
Dennoch führte der Zuwendungsverzicht nach § 2352 BGB bis Ende 2009 ein Schattendasein, weil sich ein derartig erklärter Verzicht nach herrschender Auffassung grundsätzlich nicht auf die Ersatzbedachten, also meistens die Abkömmlinge des Verzichtenden, erstreckte. Der Zuwendungsverzicht hatte sich damit als weitgehend zwecklos dargestellt.
Rz. 82
Folgender, vom OLG Frankfurt vom 6.3.1997 entschiedener Sachverhalt, mag hierfür exemplarisch stehen: Ein Ehepaar hatte sich in jungen Jahren im Rahmen eines notariellen Ehe- und Erbvertrags gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und auf den Tod des Längerlebenden verfügt, dass die an diesem Tage vorhandenen beiderseitigen gesetzlichen Erben Schlusserben sein sollten. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. Der Ehemann fiel im Krieg, einer der beiden Söhne starb ohne Hinterlassung von Abkömmlingen früh. Mit dem einzigen lebenden Sohn zerstritt sich die Ehefrau 40 Jahre später und schloss mit ihm einen Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag, in dem der Sohn auf alle seine Ansprüche gegen Zahlung einer – geringen – Abfindung verzichtete. In diesem Vertrag hieß es, der "Erbverzicht" erstrecke sich auch auf die Abkömmlinge des Sohnes. Aus der Ehe des Sohnes waren sieben Kinder hervorgegangen. Vor dem Tode der Erblasserin verstarb der Sohn, so dass es im Zeitpunkt des Erbfalls darauf ankam, wie der Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag rechtlich einzustufen war und ob sich der dort erklärte Verzicht auf die Abkömmlinge des Sohnes erstreckte. Im Gegensatz zu einem die gesetzliche Erbfolge betreffenden Verzicht, erstrecken sich die Wirkungen eines Verzichts auf ein vertragliches Erbrecht grundsätzlich nicht auf die Abkömmlinge des Verzichtenden. Das ergibt sich daraus, dass in § 2352 BGB, in dem der Verzicht auf erbvertragliche Zuwendungen geregelt ist, nur die Vorschriften der §§ 2347, 2348 BGB für entsprechend anwendbar erklärt worden sind, nicht aber die Bestimmungen des § 2249 BGB, die beim Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht die Verzichtswirkungen auf den Abkömmling erstreckt. Eine derartige Erstreckungswirkung wurde daher auch von der Rechtsprechung nicht angenommen.
Rz. 83
Dieser oder ein ähnlicher Sachverhalt mag es gewesen sein, der den Gesetzgeber veranlasst haben könnte, über eine Neuregelung des § 2352 BGB nachzudenken, jedenfalls hat die Erbrechtsreform zum 1.1.2010 eine Neuerung dahin gehend gebracht, dass nunmehr in § 2352 BGB auch auf § 2349 BGB verwiesen wird, so dass sich ein entsprechender Zuwendungsverzicht auch auf einen Abkömmling erstreckt. Die Erbrechtsreform hatte sich zum Ziel gesetzt, die Testierfreiheit zu stärken. Die fehlende Geltung des Verzichts für Abkömmlinge wurde insoweit als nicht sachgerecht empfunden.
Nunmehr tritt die Erstreckungswirkung unabhängig davon ein, ob der Zuwendungsverzicht gegen oder ohne Abfindung erfolgt. Die gesetzliche Vermutung des § 2349 BGB kann nur durch eine ausdrückliche Nichterstreckungsbestimmung widerlegt werden, die formgerecht im Zuwendungsverzichtsvertrag enthalten sein muss.
III. Erstreckung auf Abkömmlinge in jedem Fall?
Rz. 84
Fraglich erscheint, ob die Erstreckungswirkung nur eintritt, wenn die Abkömmlinge nur aufgrund der Auslegungsregeln der §§ 2069, 2190 BGB berufen wären oder auch dann, wenn der Erblasser sie ausdrücklich – oder konkludent – zu Ersatzerben/Ersatzvermächtnisnehmern bestimmt hat. Das Gesetz schweigt dazu.
Zum Teil wird vertreten, § 2349 BGB müsse einschränkend dahingehend ausgelegt werden, dass die Erstreckungswirkung dann nicht eintreten solle, wenn der Erblasser die Ersatzerbeneinsetzung ausdrücklich verfügt habe. Entscheidend sei, dass der Erblasser bei einer ausdrücklichen Ersatzerbeneinsetzung zu deren Gunsten einen eigenen Zuwendungszweck verfolgen könnte. Mit einer solchen Einschränkung würde man allerdings das Reformziel verfehlen. Die Stärkung der Testierfreiheit des Erblassers liefe leer. Daher...