Rz. 27
Die Frage, ob bei einem erklärten Verzicht die Regeln des § 313 BGB anwendbar sind und wenn ja mit welchen Rechtsfolgen, könnte bei einer Unternehmensnachfolge erhebliche Bedeutung gewinnen. Man stelle sich vor, der Erbverzicht wird angesichts einer kleineren Unternehmensbeteiligung erklärt, die die Schwester bereitwillig dem Bruder überlässt. Im Erbfall ist aus dieser nur mit einem geringen Wert zu versehenden Unternehmensbeteiligung ein Millionenvermögen geworden, weil die Firma des Vaters in den letzten Jahren vor seinem plötzlichen Unfalltod geradezu wirtschaftlich explodiert ist. Die Schwester hatte sich darauf eingelassen, den Erbverzicht ohne oder gegen eine nur geringe Abfindung zu erklären und beruft sich nunmehr auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage mit dem Argument, dass sie nie und nimmer eine derart weitreichende Erklärung abgegeben hätte, die ihr sogar noch den Pflichtteilsanspruch nimmt, wenn sie auch nur geahnt hätte, dass sie an einem Millionenvermögen partizipieren könnte.
Rz. 28
In einem Teil der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass die Regeln des § 313 BGB auch für isolierte Pflichtteilsverzichte ohne Gegenleistung bzw. ohne einen schuldrechtlichen Austauschvertrag gelten sollen. Nach herrschender Auffassung sind zwar die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage anwendbar, allerdings nur über einen Rückgriff auf das schuldrechtliche Kausalgeschäft. Es gelten allerdings Besonderheiten:
Zunächst ist davon auszugehen, dass ein Erbverzicht, auch in der Form des Pflichtteilsverzichts, grundsätzlich ein Risikogeschäft ist. Ob die ggf. vereinbarten Gegenleistungen auch nur ansatzweise dem Volumen des späteren Erb- bzw. Pflichtteils entsprechen, kann keiner der Beteiligten im Zeitpunkt der Abgabe der Verzichtserklärung wissen. In aller Regel finden zwischenzeitlich nicht unerhebliche Veränderungen des Vermögensvolumens statt, welches schließlich die Erbmasse bildet. Derartige nicht kalkulierbare Veränderungen sind für einen Erbverzicht geradezu klassisch und können deswegen nicht die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage rechtfertigen. Die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage muss daher auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Die Voraussetzungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage liegen danach nicht vor, wenn sich das Vermögen des Erblassers nach Abschluss des Vertrags unerwartet erheblich vermehrt oder vermindert hat. Gerade darin wird der Charakter des Risikogeschäfts verdeutlicht.
Rz. 29
Man wird allerdings dahin gehend differenzieren müssen, auf welcher Erkenntnisgrundlage ein derartiger Erbverzicht abgegeben wird. Je sicherer die Entscheidungsgrundlage ist, umso weniger wird man eine Berufung auf die Störung der Geschäftsgrundlage zulassen können. Oder umgekehrt: Je früher ein derartiger Erbverzicht abgegeben wird, umso labiler können die ihn bestimmenden Grundlagen sein, was auch nachdrücklich durch einen vom OLG Hamm entschiedenen Sachverhalt bewiesen wird. Hier wurde als Geschäftsgrundlage eines im Jahre 1986 geschlossenen Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrages, der auch in der DDR belegenes Grundvermögen erfasste, mangels entgegenstehender Vereinbarung die Annahme unterstellt, dass das Grundvermögen für den im Westen lebenden Erblasser und seinen ebenfalls dort lebenden Erben faktisch wertlos und auf Dauer dem Zugriff der Eigentümer entzogen war.
Nun war aber infolge der Wiederverfügbarkeit der Nachlassgrundstücke in der DDR aufgrund der Wiedervereinigung die Geschäftsgrundlage des Abfindungsvertrages entfallen, so dass das OLG Hamm zu prüfen hatte, ob dem Verzichtenden dann ein Festhalten an dem Verzichts- und Abfindungsvertrag zuzumuten ist oder ob der Verzicht anzupassen ist mit der Folge, dass der Verzichtende angesichts der geänderten Wertverhältnisse einen angemessenen Geldausgleich verlangen und einen entsprechenden Auskunftsanspruch geltend machen kann. Im Ergebnis hat das OLG Hamm auf den Verzichtsvertrag die Grundregeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage angewendet und angenommen, die Geschäftsgrundlage sei entfallen.
Rz. 30
Die Besonderheiten des Sachverhaltes brachten es mit sich, dass die Historie des zugrunde zu legenden Vertragswerkes den einzigen Schluss zuließ, dass die Abfindung auch die damals relativ niedrige Wertigkeit des so genannten Ostvermögens beinhaltete. Nun wird man zwar davon ausgehen müssen, dass das Risiko der Wertentwicklung eines Nachlasses grundsätzlich den Verzichtenden trifft. Allerdings kommt die Möglichkeit einer Korrektur von Abfindungs- und Ausgleichsregelungen wegen Zweckverfehlung durchaus in Betracht. Hier war es so, dass die Geschäftsgrundlage für den Verzicht auf der gemeinsamen Vorstellung der Vertragsparteien über den Bestand der bei Vertragsschluss herrschenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse beruhte.
Rz. 31
Einen weiteren Fall der Zweckverfehlung hatte der BGH im Zusammenhang mit dem Höferecht zu entscheiden. Hier hatte eine Tochter des Landwirts einen...