Rz. 84
Fraglich erscheint, ob die Erstreckungswirkung nur eintritt, wenn die Abkömmlinge nur aufgrund der Auslegungsregeln der §§ 2069, 2190 BGB berufen wären oder auch dann, wenn der Erblasser sie ausdrücklich – oder konkludent – zu Ersatzerben/Ersatzvermächtnisnehmern bestimmt hat. Das Gesetz schweigt dazu.
Zum Teil wird vertreten, § 2349 BGB müsse einschränkend dahingehend ausgelegt werden, dass die Erstreckungswirkung dann nicht eintreten solle, wenn der Erblasser die Ersatzerbeneinsetzung ausdrücklich verfügt habe. Entscheidend sei, dass der Erblasser bei einer ausdrücklichen Ersatzerbeneinsetzung zu deren Gunsten einen eigenen Zuwendungszweck verfolgen könnte. Mit einer solchen Einschränkung würde man allerdings das Reformziel verfehlen. Die Stärkung der Testierfreiheit des Erblassers liefe leer. Daher sollte man eine uneingeschränkte Anwendung des § 2349 BGB im Sinne einer Erstreckungswirkung auch in diesen Fällen bejahen.
Rz. 85
Nach der Rechtsprechung gilt ohnehin, dass sich ein Verzicht auf testamentarische Zuwendungen grundsätzlich auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt, wenn nicht von den Vertragsparteien des Verzichtsvertrages etwas anderes bestimmt worden ist. Dies gilt für alle Fälle ab dem 1.1.2010. Wenn allerdings in einem vor dem 1.1.2010 beurkundeten Verzichtsvertrag der Notar ausdrücklich drauf hingewiesen hat, dass sich der Zuwendungsverzicht nicht auf die Abkömmlinge der Verzichtenden erstreckt, könnte daraus der Schluss zu ziehen sein, dass die Vertragsparteien übereinstimmend eine Erstreckungswirkung nicht wollten, auch wenn der Hinweis des Notars nur der damaligen Rechtslage entsprach.
Rz. 86
Sonderproblem: Bindungswirkung
Haben Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament zwei Kinder als Schlusserben eingesetzt und schließt der überlebende Ehegatte mit einem dieser Kinder einen entgeltlichen Zuwendungsverzicht mit Erstreckung auf dessen Abkömmlinge, so bezieht sich die Bindungswirkung der Schlusserbeneinsetzung für den überlebenden Ehegatten im Zweifel auch auf den Erbteil, der dem anderen Kind infolge des Zugangsverzichts angewachsen ist.
Aus dieser Entscheidung des OLG Hamm ergibt sich die Notwendigkeit, bei Vorliegen einer bindenden Schlusserbeneinsetzung zugunsten mehrerer Erben möglichst alle Beteiligten einen Zuwendungsverzicht erklären zu lassen, um zu verhindern, dass durch die ansonsten festzustellende Bindungswirkung derjenige der Abkömmlinge, der einen Zuwendungsverzicht nicht abgegeben hat, schließlich Alleinerbe wird.
Rz. 87
Damit allerdings sind nicht alle Probleme gelöst.
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Der Verzicht auf eine Zuwendung aus einer Verfügung von Todes wegen beinhaltet nicht denknotwendigerweise einen Verzicht auf das gesetzliche Pflichtteilsrecht. |
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Aufgrund des Zuwendungsverzichts wird im Übrigen nur der Anfall der Zuwendung an den Verzichtenden verhindert, wie wenn der Bedachte den Erbfall nicht erlebt hätte. Möchte der Erblasser einen neuen Erben bestimmen, so muss er dies auch tun, indem er neben dem Zuwendungsverzicht eine neue Verfügung von Todes wegen errichtet. Der Zuwendungsverzicht wirkt nach wie vor nicht gegenüber anderen Ersatzbedachten, wenn etwa der Verzichtende kein Abkömmling des Erblassers ist, also etwa bei einem Zuwendungsverzicht des Ehegatten oder Elternteils. |
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Der Zuwendungsverzicht erfasst nicht Ersatzbedachte, die keine Abkömmlinge des Verzichtenden sind, wirkt also nicht gegenüber einem etwa ersatzweise eingesetzten Schwiegerkind. |
Rz. 88
Lässt man einmal die grundsätzliche Problematik, dass durch die Erstreckungswirkung des Zuwendungsverzichts in die Rechtsstellung Dritter eingegriffen wird, außer Betracht, wird durch die dargestellte Problematik deutlich, dass es sich bei dem Institut des Zuwendungsverzichts grundsätzlich um eine problematische Regelung handelt. Gleichwohl ergibt sich aus der Neufassung des § 2352 BGB ein größerer Anwendungsbereich des Zuwendungsverzichts als bislang. Die Neuregelung ist daher im Grundsatz zu begrüßen.
Hinweis
Wie bereits erwähnt, ist der Abschluss eines Zuwendungsverzichtsvertrags durch einen Vertreter möglich. Das ergibt sich insbesondere aus dem Verweis in § 2352 BGB auch auf § 2347 BGB, also auch auf dessen Abs. 2. Das Betreuungsgericht müsste genehmigen. Damit wäre aber das Problem noch nicht gelöst, wenn der Erblasser selbst testierunfähig ist. Da der Zuwendungsverzichtsvertrag nur den Anfall der Zuwendung an den Verzichtenden verhindert, wie wenn er den Erbfall nicht erlebt hätte, selbst aber keine zuweisende Wirkung hat, könnte ein Testator mangels eigener Testierfähigkeit kein neues Testament schreiben, so dass damit bestenfalls der Eintritt der gesetzlichen Erbfolge erreicht werden könnte. Da die in Betracht kommende letztwillige Verfügung selbst nicht aufgehoben wird, erlangt der Erblasser seine vollständige Testierfreiheit im Übrigen nur dann wieder, wenn nicht etwa ein Ersatzerbe ermittelt werden könnte, auf den sich der Zuwendungsverzicht nicht erstreckt. Ein so...