Rz. 52
Stellt der Berater nunmehr fest, dass die Beteiligten möglicherweise in frühen Jahren unbedacht einen Erbverzicht mit ihren Abkömmlingen geschlossen haben, dessen Auswirkungen nicht überblickt worden sind, empfiehlt es sich, einen solchen Erbverzicht aufzuheben und ggf. durch einen Pflichtteilsverzicht zu ersetzen.
1. Aufhebung zu Lebzeiten des Erblassers
Rz. 53
Hinzuweisen ist auf §§ 2346, 2347 BGB. Nach § 2347 Abs. 1 BGB kann der Erbverzicht – spiegelbildlich natürlich dessen Aufhebung – auch dann noch vereinbart werden, wenn der Verzichtende unter Vormundschaft steht, hier ist allerdings die Genehmigung des Familiengerichtes erforderlich. Ist ein Betreuer tätig, bedarf der Verzicht und dessen Aufhebung der Genehmigung des Betreuungsgerichts. Nach § 2347 Abs. 2 BGB kann ein solcher Vertrag von dem Erblasser nur persönlich geschlossen werden. Allerdings schreibt § 2347 Abs. 2 S. 2 BGB vor, dass in den Fällen, in denen der Erblasser geschäftsunfähig ist, der Vertrag durch den gesetzlichen Vertreter geschlossen werden kann. Hier ergibt sich also sogar die Möglichkeit, einen Erbverzichtsvertrag aufzuheben, wenn der Erblasser selber schon geschäftsunfähig geworden ist. Allerdings muss der gesetzliche Vertreter handeln. Eine Vertretung durch einen Vorsorgebevollmächtigten scheidet insoweit aus. Hier kommt also nur ein Betreuer in Betracht (§§ 1896 Abs. 2, 2902 BGB).
Rz. 54
Ist zweifelhaft, ob der Erblasser wirklich geschäftsunfähig ist, dürfte sich empfehlen, die Erklärung sowohl von dem Erblasser als auch von seinem Betreuer abschließen zu lassen. Ferner ist darauf zu achten, dass die Erklärung des gesetzlichen Vertreters und die Genehmigung des Betreuungsgerichts im Zeitpunkt des Erbfalls wirksam sein müssen. Zudem muss die gem. § 1829 Abs. 1 BGB erforderliche Mitteilung der Genehmigung an einen evtl. Verfahrenspfleger noch vor dem Tod des Erblassers erfolgen.
2. Aufhebung nach dem Tod des Verzichtenden
Rz. 55
Der BGH hatte folgenden Sachverhalt zu beurteilen: Die am 10.6.1993 verstorbene Erblasserin hatte drei Kinder: den Kläger, einen schon 1984 ohne Kinder verstorbenen Sohn und den Vater der Beklagten. Dieser hatte am 30.8.1972 durch notariellen Vertrag mit der Erblasserin auf sein gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht gegen eine Abfindung verzichtet. Er starb am 17.1.1979 und wurde von seiner zweiten Ehefrau und seinen beiden Kindern aus erster Ehe, der Beklagten und ihrem Bruder, beerbt. Durch Testament vom 27.1.1992 setzte die Erblasserin die Beklagte als Alleinerbin ein. In einem notariellen Vertrag vom 18.8.1972 vereinbarte die Erblasserin mit der Beklagten und ihrem Bruder die Aufhebung des Erbverzichts aus dem Jahre 1992, wobei klargestellt wurde, dass der Pflichtteilsverzicht nach wie vor bestehen bleibe.
Es kam nun zum Streit darüber, ob die Aufhebung des Erbverzichts wirksam war. Die Instanzengerichte hatten angenommen, der Erbverzicht sei wirksam aufgehoben worden, was vom BGH jedoch nicht bestätigt wurde. Der BGH war vielmehr der Auffassung, dass der Erbverzicht nur von den Vertragschließenden selbst zu deren Lebzeiten hätte aufgehoben werden können. Nach herrschender Auffassung könne aber auch Vertragspartner eines Aufhebungsvertrages mit dem Erblasser nur der Verzichtende selbst sein, auch wenn dies anders als beim Erbvertrag beim Erbverzicht nicht ausdrücklich aus dem Gesetz hervorgehe.
Rz. 56
Der BGH begründet diese Auffassung insbesondere damit, dass der Erbverzicht kraft Gesetzes den ganzen Stamm des Verzichtenden erfasse, auch wenn der Verzicht nicht zugleich im Namen der Abkömmlinge des Verzichtenden erklärt worden sei bzw. diese dem Verzicht nicht zugestimmt hätten. Damit ermögliche § 2349 BGB dem Verzichtenden einen Eingriff in das von seinem gesetzlichen Erbrecht an sich unabhängige gesetzliche Erbrecht seiner Abkömmlinge. Bei dieser Regelung ist man im Gesetzgebungsverfahren davon ausgegangen, dass der Erbverzicht häufig dem Ziel einer vorweggenommenen Erbfolge des Verzichtenden gegen Abfindung dient. Geht man davon aus, entspricht es nicht dem Willen der Beteiligten und auch nicht der Billigkeit, den Abkömmlingen des Verzichtenden gleichwohl die Geltendmachung ihres Erbrechts zu gestatten, obwohl der vorangehende Teil des Stammes einen wirksamen Verzicht ausgesprochen hat.
Rz. 57
Der Verzichtende ist Repräsentant seines Stammes. Daher ist er auch zur Aufhebung des Erbverzichts nach § 2351 BGB alleine in der Lage und bedarf insoweit ebenfalls nicht der Zustimmung seiner Abkömmlinge. Kommt es aber zu Lebzeiten des Verzichtenden nicht zu einer Aufhebung des Erbverzichts, dann muss aus Gründen der Rechtsklarheit mit dem Tod des Verzichtenden feststehen, dass er und sein Stamm endgültig aus der gesetzlichen Erbfolge nach dem Erblasser ausgeschieden sind. Die vorweggenommene Erbfolge, an der sich der Gesetzgeber bei seiner Regelung des Erbverzichts orientierte, ist damit in der Person des Verzichtenden unabänderlich geworden mit de...