Rz. 56
Der Vorerbe ist grundsätzlich zur Verfügung über den Nachlass befugt, § 2112 BGB. Diese Befugnis erfährt im Interesse des Nacherben allerdings erhebliche Einschränkungen (§§ 2113 f., 2116–2118 BGB). Als Korrektiv ist der Nacherbe gem. § 2120 BGB verpflichtet, seine Zustimmung zu solchen (auch einseitigen) Verfügungen des Nacherben zu erteilen, die im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses erforderlich sind.
Von Bedeutung ist für die Praxis insbesondere die Veräußerung eines zum Nachlass gehörenden Grundstücks durch den nicht befreiten Vorerben. Demgegenüber bedürfen im Rahmen einer befreiten Vorerbschaft nur unentgeltliche Verfügungen (§§ 2136, 2113 Abs. 2 BGB) der Zustimmung des Nacherben.
aa) Anwendungsbereich
Rz. 57
(1) Auf Verpflichtungsgeschäfte, die auf die Eingehung einer genehmigungsbedürftigen Verfügung gerichtet sind, ist § 2120 BGB entsprechend anzuwenden. Dies dient der Klarstellung, ob die beabsichtigte Verfügung wirksam ist und auch der Nacherbe für die entstehende Nachlassverbindlichkeit haftet.
Rz. 58
(2) Einen Sonderfall stellt die Verfügung eines befreiten Vorerben über ein Nachlassgrundstück dar. Hier bedarf es zur Löschung des Nacherbenvermerks (§ 51 GBO) der Zustimmung des Nacherben an sich nicht (§§ 2136, 2113 Abs. 1 BGB). Gleichwohl können beim grundbuchmäßigen Vollzug des Veräußerungsgeschäfts Schwierigkeiten auftreten: Da sich die Befreiung des Vorerben nicht auf unentgeltliche Verfügungen erstreckt, muss er gegenüber dem Grundbuchamt den Nachweis der vollen Entgeltlichkeit der Veräußerung durch Vorlage öffentlicher Urkunden (§ 29 Abs. 1 S. 2 GBO) erbringen.
Das Grundbuchamt entscheidet insoweit in freier Würdigung des in der vorgelegten Urkunde erkennbaren Sachverhalts, ob die Entgeltlichkeit der Verfügung hinreichend dargetan ist oder konkrete Anhaltspunkte zu Zweifeln Anlass geben. Dabei wird die Glaubhaftmachung der Entgeltlichkeit anhand von Erfahrungsgesetzen, Wahrscheinlichkeitserwägungen und tatsächlichen Vermutungen als ausreichend erachtet. Die Praxis hält den Nachweis insbesondere für erbracht, wenn die Verfügung Bestandteil eines zweiseitigen entgeltlichen Veräußerungsvertrages mit einem Nichterben ist, zwischen dem veräußernden Vorerben und dem Erwerber kein Näheverhältnis besteht und keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Gegenleistung nur zum Schein vereinbart worden ist oder dass zwischen Leistung und Gegenleistung ein grobes Missverhältnis besteht.
Das Grundbuchamt darf, da es sich bei dem Grundbucheintragungsverfahren nicht um ein Erkenntnisverfahren handelt, auch nicht von Amts wegen ermitteln, insbesondere über den Verkehrswert bzw. die Entgeltlichkeit ein Gutachten einholen.
Rz. 59
Dem befreiten Vorerben wird deshalb in analoger Anwendung des § 2120 BGB ein Anspruch gegen den Nacherben auf Zustimmung zu Grundstücksverfügungen zugebilligt, wenn
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die grundbuchmäßige Erledigung nur mit Zustimmung des Nacherben möglich ist oder |
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der Vertragspartner des Vorerben diese Zustimmung fordert oder |
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andere berechtigte Gründe vorliegen. |
Rz. 60
Da bereits Zweifel über die Rechtslage die Veräußerung behindern können, lässt die Rechtsprechung eine gerichtliche Klärung durch den Vorerben schon dann zu, wenn die Zustimmungsbedürftigkeit nur zweifelhaft ist.
In diesem Fall kann der Vorerbe eine Feststellungsklage mit dem Inhalt erheben, eine beabsichtigte, konkrete Verfügung unterliege nicht der Zustimmungspflicht des Nacherben. Voraussetzung ist allerdings, dass der Nacherbe die Zustimmungsbedürftigkeit der Verfügung behauptet, mithin überhaupt ein Streit besteht.
Rz. 61
(3) Sind mehrere Vorerben eingesetzt, so bilden diese eine Miterbengemeinschaft. Sind zum Vollzug der Auseinandersetzung dieser Miterbengemeinschaft Verfügungen erforderlich, die unter die Beschränkungen der §§ 2113 Abs. 1, 2114 BGB fallen, bedürfen diese der Zustimmung des Nacherben. Der Nacherbe kann die Zustimmung nicht verweigern, da er durch die Surrogation hinreichend geschützt ist.
Rz. 62
(4) Nicht zustimmungsbedürftig sind nach überwiegender Meinung Verfügungen nach § 2113 Abs. 1 BGB, die lediglich der Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten dienen, insoweit wird im Einzelfall entweder eine fehlende Beeinträchtigung des Nacherben bzw. eine Befreiung von der Verpflichtung aus § 2113 Abs. 1 BGB angenommen. Hingegen verlangt ein Teil der Literatur eine Zustimmung des Nacherben, zu deren Erteilung er allerdings regelmäßig verpflichtet sein soll. Das Gesetz gehe bei der Beurteilung der Frage, ob eine Verfügung den Nacherben benachteilige (§ 2113 BGB), von einer rechtlichen Betrachtungsweise aus. Eine Verfügung sei für den Nacherben aber selbst dann nachteilig, wenn sie zur Befreiung von einer Nachlassverbindlichkeit führe.
Behauptet in dieser Konstellation der Nacherbe die Zustimmungsbedürftigkeit, kann eine Klärung wiederum über eine Feststellungsklage erfolgen.