Rz. 227
Die Gläubiger des Vorerben können aus einem gegen den Vorerben erwirkten Titel die Zwangsvollstreckung in den Nachlass betreiben. Dies unabhängig davon, ob es sich bei der zugrunde liegenden Forderung um eine Nachlassverbindlichkeit oder eine Eigenverbindlichkeit des Vorerben handelt.
Rz. 228
Jedoch soll der Nacherbe nicht mit der Erbschaft für die persönlichen Verbindlichkeiten des Vorerben einstehen müssen. Eine in der Zwangsvollstreckung sowie in Vollziehung eines Arrestes gegen den Vorerben getroffene Verfügung ist nach § 2115 S. 1 BGB absolut unwirksam, soweit die Rechtsstellung des Nacherben beeinträchtigt wird und nicht eine der in § 2115 S. 2 BGB genannten Ausnahmen vorliegt:
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Zulässig ist die Vollstreckung durch einen Nachlassgläubiger. Denn das Recht des Nacherben muss wie das Recht jedes anderen Erben den Ansprüchen von Nachlassgläubigern weichen. Hierunter fallen auch Nachlasserbenschulden, also Eigenverbindlichkeiten des Vorerben, die dieser zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses (§ 2120 BGB) eingehen durfte und die daher zugleich Nachlassverbindlichkeiten begründen. |
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Wirksam sind ferner Zwangsverfügungen, die aufgrund eines an einem Nachlassgegenstand wirksam bestellten Rechts (beispielsweise eines Pfandrechts) durchgeführt werden. Hierunter fallen nicht nur die von dem Erblasser, sondern ebenso die von dem Vorerben mit Wirkung gegen den Nacherben an Erbschaftsgegenständen begründeten Rechte. |
Rz. 229
Beispiel
Im Rahmen einer befreiten Vorerbschaft bestellt der Vorerbe eine Hypothek für eine persönliche Verbindlichkeit.
Rz. 230
Erfasst wird von § 2115 BGB nur die Zwangsvollstreckung zur Beitreibung von Geldforderungen. Bei einer Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung richtet sich die Zulässigkeit ausschließlich nach §§ 2112, 2113 BGB. Anwendbar ist § 2115 BGB auch bei der Kündigung einer Personenhandelsgesellschaft durch die Gläubiger des Vorerben (§ 135 HGB).
Rz. 231
Nicht erfasst werden von § 2215 BGB Vollstreckungsmaßnahmen in die Nutzungen der Erbschaft, da diese freies Vermögen des Vorerben sind. Auch Teilungsversteigerungen von Nachlassgrundstücken unter mehreren Vorerben muss der Nacherbe gegen sich gelten lassen. Denn die Teilungsversteigerung ist kein Akt der Zwangsvollstreckung, sondern Teil der Erbauseinandersetzung. Der Erlös fällt als Surrogat in den Nachlass und unterliegt damit der Nacherbfolge. Auch § 2113 Abs. 1 BGB ist insoweit weder direkt noch entsprechend anwendbar, da der Eigentumsübergang nicht auf einer Verfügung des Vorerben beruht.
Zur Teilungsversteigerung vgl. § 20.
Rz. 232
Soweit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Nacherben unwirksam sind, kommt ein gutgläubiger Erwerb durch den Dritten regelmäßig nicht in Betracht, da es sich um keinen rechtsgeschäftlichen Erwerb handelt. Ausnahmen gelten jedoch für die freihändige Veräußerung nach § 825 ZPO sowie für den Zuschlag bei der Versteigerung (Eigentumserwerb kraft Hoheitsakt). Der Nacherbe hat in diesen Fällen nur einen Bereicherungsanspruch gegen den die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubiger.
Rz. 233
Die Unwirksamkeit einer Zwangsverfügung macht jedoch die Zwangsvollstreckung als solche nicht unzulässig. Die verfahrensrechtlichen Konsequenzen ergeben sich aus § 773 S. 1 ZPO: Ist eine Verfügung dem Nacherben gegenüber bei Eintritt des Nacherbfalls unwirksam, so soll keine Veräußerung des gepfändeten Gegenstandes und keine Überweisung der beschlagnahmten Forderung erfolgen. Zulässig sind aber Vollstreckungsmaßnahmen, die unterhalb dieser Schwelle liegen, beispielsweise die Pfändung, die Bestellung einer Zwangshypothek, die Durchführung der Zwangsverwaltung oder die bloße Anordnung der Zwangsversteigerung.