Rz. 3
Der Erblasser kann mit der Anordnung von Vor- und Nacherbfolge seinen Nachlass verschiedenen Personen zeitlich gestaffelt, also nacheinander zukommen lassen.
Mit dem Eintritt eines bestimmten Zeitpunkts oder Ereignisses hört der Vorerbe auf, Erbe zu sein (§§ 2100, 2139 BGB). Er ist damit lediglich "Erbe auf Zeit". Der Nacherbe wird ab diesem Zeitpunkt Erbe des Erblassers, nicht des Vorerben. Möglich ist die Erbeinsetzung des Nacherben sowohl unter einer Befristung (Zeitbestimmung) als auch unter einer Bedingung. Im Hinblick auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Erbfolge ist eine Erbeinsetzung unter einer Bedingung oder Zeitbestimmung rechtssystematisch immer eine Vor- und Nacherbeneinsetzung.
Rz. 4
Die Anordnung von Vor- und Nacherbfolge ermöglicht es dem Erblasser, die Erben in ihren Dispositionsmöglichkeiten über den Nachlass zu beschränken und den Vermögensfluss über mehrere Generationen hinweg zu steuern. Auf diese Weise kann eine Abwanderung des hinterlassenen Vermögens aus der Familie des Erblassers vermieden werden.
Rz. 5
Als Gestaltungsmöglichkeit kommt die Vor- und Nacherbfolge beispielsweise in den Fällen in Betracht, in denen der Erblasser die Nutzungen seines Vermögens zunächst seinem Ehegatten zuwenden will, um dessen Versorgung sicherzustellen, ohne gleichzeitig seine Kinder und Enkel vollständig von der Erbfolge ausschließen zu müssen (vgl. aber § 2269 Abs. 1 BGB; siehe Rdn 12 ff.). Auch Wiederverheiratungsklauseln greifen nicht selten auf die Konstruktion der Vor- und Nacherbfolge zurück. Schließlich kommt die Vor- und Nacherbfolge als Gestaltungsmöglichkeit beim Behindertentestament in Betracht. Das behinderte Kind wird hier als Vorerbe eingesetzt, seine Abkömmlinge oder Geschwister werden Nacherben. Dadurch wird der Zugriff des Sozialamts auf das Erbe vermieden.
Rz. 6
Der Erblasser kann grundsätzlich anordnen, dass sich an die erste Nacherbfolge weitere anschließen (mehrfache Nacherbfolge). Der erste Nacherbe ist dann gegenüber seinem Nachfolger Vorerbe.
Rz. 7
Eine zeitliche Schranke ergibt sich aus § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB: Eine Nacherbeneinsetzung wird nach Ablauf von 30 Jahren unwirksam, wenn nicht zuvor das den Nacherbfall auslösende Ereignis eingetreten ist. Mit dem Wegfall der Nacherbenanordnung wird der Nachlass freies Vermögen des zu diesem Zeitpunkt eingesetzten Vorerben, dieser wird Vollerbe.
Rz. 8
Diese Regel erfährt jedoch zwei bedeutsame Ausnahmen: Die Begrenzung gilt nicht für Nacherbeneinsetzungen, die Ereignisse in der Person des Vor- oder Nacherben als Bezugspunkt bestimmen, und der Vor- oder Nacherbe zur Zeit des Erbfalls lebt oder wenigstens erzeugt ist (§ 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB). Wichtigster Anwendungsfall ist die Bestimmung des Todes des Vorerben als Nacherbfall (vgl. § 2106 Abs. 1 BGB). Die Nacherbeneinsetzung bleibt hier auch dann wirksam, wenn der Vorerbe im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bereits lebt und diesen um mehr als 30 Jahre überlebt.
Rz. 9
Die zweite Ausnahme besteht für ungeborene Geschwister des Vor- oder Nacherben, die als Nacherben eingesetzt werden (§ 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB). Hierunter fallen auch Halbgeschwister und Adoptivgeschwister, soweit sie als Minderjährige mit der Wirkung des § 1754 BGB angenommen wurden. Die zeitliche Begrenzung ergibt sich hier aus der Lebensdauer der Eltern des erzeugten Geschwisters, das Nacherbe werden soll.
Bei juristischen Personen verbleibt es demgegenüber bei der 30-Jahres-Frist (§ 2109 Abs. 2 BGB).