Rz. 247
Der Umfang der Herausgabepflicht richtet sich danach, ob eine befreite oder eine nicht befreite Vorerbschaft vorliegt:
Rz. 248
(1) |
Der nicht befreite Vorerbe hat den Nachlass in dem Zustand herauszugeben, der sich bei einer fortgesetzt ordnungsgemäßen Verwaltung ergibt (§ 2130 Abs. 1 S. 1 BGB). Ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Verwaltung löst Schadensersatzansprüche des Nacherben aus (vgl. Rdn 270 ff.). |
(2) |
Demgegenüber beschränkt sich die Herausgabepflicht des (völlig) befreiten Vorerben auf die im Zeitpunkt des Nacherbfalls noch vorhandenen Gegenstände (§ 2138 Abs. 1 S. 1 BGB). Nachdem der befreite Vorerbe Erbschaftsgegenstände für sich verwenden darf, besteht insoweit auch kein Anspruch des Nacherben auf Wert- oder Schadensersatz. Ausnahme: Unentgeltliche Verfügungen darf auch der befreite Vorerbe nicht vornehmen (§§ 2138 Abs. 2, 2113 Abs. 2 BGB). |
Rz. 249
Einzelheiten zum Umfang der Herausgabepflicht:
Der Herausgabeanspruch umfasst sämtliche Erbschaftsgegenstände, einschließlich der Surrogate (§ 2111 BGB; auch eine aus Mitteln der Erbschaft erbrachte Kommanditeinlage). Die Darlegungs- und Beweislast für den Eintritt der Surrogation trägt der Nacherbe.
Ein Gegenstand, der verkauft, aber noch nicht übereignet ist, gehört ebenfalls zur Erbschaft. Der Vorerbe kann hier von dem Nacherben Befreiung von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Käufer verlangen. Wenn eine Befreiung erfolgt, steht der Kaufpreis dem Nacherben als Surrogat der Erbschaft zu.
Herauszugeben sind ferner Dinge (insb. Urkunden), die der Vorerbe in Bezug auf Erbschaftsgegenstände erlangt hat, beispielsweise die vollstreckbare Schuldurkunde über eine Nachlassforderung oder die Police eines von ihm abgeschlossenen Versicherungsvertrages.
Rz. 250
Nicht herauszugeben sind die Nutzungen (Früchte und Gebrauchsvorteile, §§ 100, 99 BGB), die während der Dauer der Vorerbschaft angefallen sind. Diese stehen dem Vorerben zu, soweit der Erblasser nichts anderes bestimmt hat. Die Verteilung zwischen Vor- und Nacherbe richtet sich, sofern die Fruchtziehung tatsächlich erfolgt ist, nach § 101 BGB.
Rz. 251
Gehört zum Nachlass ein Unternehmen, so ist zwischen Nutzungen, die grundsätzlich dem Vorerben zustehen, und Surrogaten, die in den Nachlass fallen, abzugrenzen:
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Bei einem einzelkaufmännischen Unternehmen richtet sich die Höhe der Nutzungen nach dem Reingewinn, der nach Maßgabe einer jährlichen Handelsbilanz zu ermitteln ist. |
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Bei einer Personengesellschaft stehen dem persönlich haftenden Gesellschafter-Vorerben als Nutzungen die ausgeschütteten Gewinnanteile und unabhängig vom Gewinn das Recht zur Entnahme von jährlich 4 % seines Kapitalanteils (§ 122 HGB) zu. |
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Dividenden und Gewinnanteile aus Aktien und GmbH-Anteilen stellen Nutzungen dar. Sie gebühren dem Vorerben. |
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Bezugsrechte auf neue Aktien und neue Anteilsrechte aufgrund einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln fallen in den Nachlass. |
Rz. 252
Mit der Trennung gelangen die Früchte in das freie Vermögen des Vorerben (§§ 100, 953 BGB). Hat der Vorerbe von seinem Entnahmerecht während der Dauer der Vorerbschaft keinen Gebrauch gemacht, ändert sich an der rechtlichen Zuordnung nichts. Der Vorerbe hat einen Anspruch auf Übertragung gegen den Nacherben.
Rz. 253
Nicht zu ersetzen sind die durch den befreiten Vorerben aus Mitteln des Nachlasses bestrittenen gewöhnlichen Erhaltungskosten und Lasten: Das Gesetz sieht zwar die Möglichkeit einer Befreiung des Vorerben von der Verpflichtung, die gewöhnlichen Erhaltungskosten und Lasten (§ 2124 Abs. 1 BGB) zu tragen, nicht vor (§ 2136 BGB). Gleichwohl kann der befreite Vorerbe die gewöhnlichen Erhaltungskosten und Lasten aus dem Nachlass bestreiten, ohne dem Nacherben zum Ersatz verpflichtet zu sein. Denn der befreite Vorerbe ist befugt, die Nachlasssubstanz für sich selbst zu verwenden (§§ 2136, 2134 BGB), ohne zum Wertersatz verpflichtet zu sein. Es muss ihm deshalb erst recht die Verwendung der entnommenen Mittel für den Nachlass gestattet werden.