Prof. Dr. Wolfgang Burandt, Dr. Cathrin Krämer
1. Vollmachten zur Vermögenssorge
a) Geschäftsfähigkeit
Rz. 20
Voraussetzung für die Abgabe einer wirksamen Willenserklärung bei Vollmachten, die das Vermögen betreffen, ist die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers auf dem Gebiet der Vermögenssorge. Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist nichtig (§ 105 BGB). Gemäß § 104 Nr. 2 BGB wird die Geschäftsunfähigkeit von der Vermutung der grundsätzlichen Willensfreiheit negativ abgegrenzt. So ist derjenige geschäftsunfähig, der sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist. Die Prüfung, ob der Vollmachtgeber im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung geschäftsunfähig war, erfolgt grundsätzlich auf zwei Beurteilungsebenen.
Rz. 21
Prüfungsschema
Beurteilungsebene 1: Zunächst muss festgestellt werden, welche Krankheit ggf. vorlag (diagnostische Ebene). Die Krankheit muss Auswirkungen auf die Bildung eines freien Willens haben. Ist dies nicht der Fall, liegt eine Geschäftsunfähigkeit nicht vor und die Prüfung kann beendet werden.
Beurteilungsebene 2: Liegen die Voraussetzungen der ersten Bedingungsebene vor, so muss geprüft werden, ob und wodurch sich die Krankheit auf die freie Willensbildung auswirkt (Symptom- bzw. Verhaltensebene). Der Prüfung der zweiten Bedingungsebene muss immer erfolgen, da trotz des Vorliegens einer langjährigen Krankheit (bspw. chronische Schizophrenie) im Regelfall nicht ohne weiteres angenommen werden kann, dass die freie Willensbestimmung zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit aufgehoben war.
Rz. 22
Der Vollmachtgeber kann sein Recht zum Widerruf auf einen Kontrollbevollmächtigten übertragen, so dass dieser im Falle der Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers den Widerruf ausüben kann.
b) Beweislast
Rz. 23
Beweisbelastet für das Vorliegen einer Geschäftsunfähigkeit ist derjenige, der sich auf den Eintritt der Geschäftsunfähigkeit beruft. Anders wird dies vom OLG Koblenz beurteilt, wenn ein Evidenzfall vorliegt.
Eine Beweiserleichterung bei Vorliegen einer Geisteskrankheit gibt es nicht, da keine Werte vorliegen, die bestätigen, dass eine Geisteskrankheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Ausschluss der freien Willensbestimmung führen.
Steht fest, dass ein Zustand vorliegt, der zu einer Geschäftsunfähigkeit führt und der dazu geeignet ist, diese gerade für den Zeitpunkt der Abgabe der maßgeblichen Willenserklärung zu begründen, muss das Vorliegen eines lichten Augenblicks bewiesen werden.
c) Beweiserhebung
Rz. 24
Um der Behauptungslast im Zivilprozess zu genügen, ist es nicht ausreichend, lediglich die Behauptung aufzustellen, dass der Vollmachtgeber im Zeitpunkt des Widerrufs geschäftsunfähig war. Vielmehr muss vorgetragen werden, worauf sich diese Annahme stützt. Das Gericht muss durch den Vortrag in der Lage sein zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs oder die geltend gemachten Einwendungen vorliegen. Grundsätzlich ist dies der Fall, wenn konkrete Anknüpfungstatsachen oder Indizien vorgetragen werden, die einen Zustand des Betroffenen beschreiben, die den Schluss darauf zulassen, dass er im Zeitpunkt der Abgabe der streitigen Willenserklärung infolge einer krankhaften Störung seiner Geistestätigkeit zu einer freien Willensbildung nicht in der Lage gewesen ist. Der Grad der Wahrscheinlichkeit der Sachverhaltsschilderung ist für den Umfang der Darlegungslast ohne Bedeutung, so dass grundsätzlich auch die Angabe näherer Einzelheiten entbehrlich ist.
Praxistipp
Wird der Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers vermutet, sollten unverzüglich Beweise gesichert bzw. eingeholt werden. Hier ist an die Ausfertigung eines Gutachtens durch einen Neurologen oder Psychiaters über den Gesundheitszustand des Vollmachtgebers zu denken.
Weigert sich der Vollmachtgeber, bei einem Neurologen oder Psychiater vorstellig zu werden, kann ein Betreuungsverfahren angeregt werden, in welchem die Geschäftsfähigkeit bzw. Geschäftsunfähigkeit festgestellt wird. Das Gericht wird aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes ermitteln, da der Vollmachgeber durch den Widerruf der Vollmacht, unabhängig ob dieser wirksam war oder nicht, zum Ausdruck gebracht hat, dass er dem Bevollmächtigten...