Dr. Jörg Kraemer, Frank-Michael Goebel
Rz. 20
Schon die aufgeführten Beispiele zu aktiven Handlungspflichten trotz eines Unterlassungsgebotes machen deutlich, dass es in der Praxis schwierig sein kann, die Durchsetzung der Handlungspflichten in der Vollstreckung zwischen der Anwendung von § 890 ZPO einerseits und den §§ 887, 888 ZPO andererseits abzugrenzen.
Rz. 21
Tipp
Soweit schon im Ausgangsprozess absehbar ist, dass der Schuldner über die Unterlassung zukünftiger Handlungen auch bereits erfolgte Handlungen rückgängig machen muss, sollten der Unterlassungs- und der Beseitigungsanspruch im Erkenntnisverfahren gleichzeitig mit zwei Anträgen verfolgt und tituliert werden. Während der Anspruch auf Beseitigung der Störung dann nach den §§ 887, 888 ZPO (siehe § 13) vollstreckt werden kann, wird die – zukünftige – Unterlassungspflicht dann mit den Ordnungsmittel des § 890 ZPO durchgesetzt.
Rz. 22
Grundsätzlich muss der Gläubiger schon bei der Titulierung seines Anspruchs darauf achten, dass aus dem Titel hinreichend bestimmt hervorgeht, ob eine primäre Handlungspflicht vorliegt, die nach §§ 887, 888 ZPO zu vollstrecken ist, oder ein dauerhaftes Unterlassungsgebot. Bleibt dies unbestimmt, kann dies zur Folge haben, dass die Zwangsvollstreckung als Ganzes unzulässig wird. Nach anderer Ansicht soll in diesem Fall § 890 ZPO als subsidiäre Vollstreckungsart Anwendung finden, was aber schon der streng formalen Gliederung der Vollstreckungsarten widersprechen würde, jedenfalls für den Gläubiger ein wesentliches Vollstreckungsrisiko mit sich bringt.
Rz. 23
Wesentliches Kriterium zur Abgrenzung der Vollstreckung nach § 890 ZPO zur Vollstreckung nach den §§ 887, 888 ZPO muss sein, ob das dauerhafte Unterlassen eines störenden Verhaltens den Kern der Verpflichtung darstellt oder die einmalige Vornahme einer Handlung.
Rz. 24
Beispiel
Soll der Schuldner "geeignete Maßnahmen" ergreifen, um Geruchsimmissionen und Lärmimmissionen einer Anlage zu verhindern, so steht die Handlungspflicht, nämlich das Treffen "geeigneter Maßnahmen", im Vordergrund, sodass die Vollstreckung nach den §§ 887, 888 ZPO zu erfolgen hat.
Wird er dagegen verurteilt, die Beeinträchtigung des Gläubigers mit Lärmimmissionen nach 22.00 Uhr von mehr als 50 dB(A) zu unterlassen, und ist hierfür keine einmalige Baumaßnahme, sondern ein dauerhaftes Unterlassen von Arbeitsprozessen erforderlich, so steht hier die dauerhafte Unterlassungspflicht im Vordergrund, sodass die Vollstreckung nach § 890 ZPO erfolgt. Diese Unterscheidung muss bereits Gegenstand der Überlegungen im Ausgangsprozess sein und möglichst im Klageantrag des Erkenntnisverfahrens und damit auch im Tenor der Vollstreckungsentscheidung ihren Niederschlag finden.
Rz. 25
Ist der Titel sowohl auf ein Unterlassen als auch auf ein Tun gerichtet, kommt es darauf an, wo der Schwerpunkt der Verpflichtung liegt. Bei Vorliegen eines Unterlassungstitels kann nicht neben oder anstatt nach § 890 ZPO auch nach §§ 887 f. ZPO vorgegangen werden. Vielmehr ist allein § 890 ZPO anzuwenden und im titulierten Umfang die Unterlassungsvollstreckung zu betreiben. Das gilt auch dann, wenn die Unterlassungspflicht nur durch eine bestimmte Maßnahme des Schuldners erfüllt werden kann.
Rz. 26
Eine Überschneidung der Unterlassungspflicht mit der Handlungsvollstreckung kann sich bei der Verpflichtung zur Unterlassung störender Eingriffe dann ergeben, wenn die Quelle der Beeinträchtigung bereits besteht und von ihr weitere Beeinträchtigungen ausgehen oder drohen. Der BGH hat entschieden, dass in einem solchen Fall Ansprüche auf Unterlassung und auf Beseitigung nebeneinander bestehen können. Dem Gläubiger ist es daher unbenommen, den einen oder den anderen Anspruch oder auch beide Ansprüche kumulativ nebeneinander geltend zu machen. In allen Fällen berechtigt ein Unterlassungstitel ausschließlich nur zur Vollstreckung nach § 890 ZPO, nicht zum Vorgehen nach § 887 oder § 888 ZPO.
Rz. 27
Tipp
Weist das Gericht nach § 139 ZPO darauf hin, dass es davon ausgeht, dass der Titel keine Unterlassungs- und Duldungsverpflichtung, sondern das Gebot zur Vornahme einer vertretbaren oder unvertretbaren Handlung enthält, so kann der Gläubiger einen Hilfsantrag nach den §§ 887, 888 ZPO stellen (siehe dazu § 13), wenn er an seiner Rechtsauffassung festhalten möchte. Er vermeidet so jedenfalls Rechtsnachteile für den Fall, dass das angerufene Gericht der von ihm vertretenen Auffassung nicht folgt. Analog zur anerkannten Verfahrensweise bei der Abgrenzung eines Antrages nach § 887 ZPO von einem solchen nach § 888 ZPO und umgekehrt wird auch hier eine Änderung des Antrages noch im Beschwerdeverfahren erfolgen können.
Rz. 28
Checkliste nach § 890 ZPO zu vollstreckender Duldungs- und Unterlassungsverpflichtungen:
Nach § 890 ZPO sind zu vollstrecken
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die Duldung von Verputzarbeiten am Nachbarhaus, die nur vom Grundstück des Schuldners aus möglich sind, verbunden mit der Verpflichtung, den Handwerkern die Tür zum Betreten des Innenhofes zu öffnen; |
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