Rz. 42
Nach § 844 Abs. 2 BGB, § 10 StVG hat der Schädiger in dem Umfang Ersatz zu leisten, in dem der Getötete zur Unterhaltsgewährung kraft Gesetzes verpflichtet gewesen wäre. Maßgeblich ist also der gesetzlich geschuldete, nicht der tatsächlich geleistete Unterhalt. Eine auf Unterhaltsleistung gerichtete vertragliche Pflicht reicht ebenso wenig aus wie die Verpflichtung des Getöteten, selbst aus einem früheren Ereignis dem Dritten eine Unterhaltsrente (als Schadensersatzleistung) zahlen zu müssen. Grundlage für den Unterhaltsersatzanspruch aus § 844 BGB sind die Regelungen des Familienrechts, also die §§ 1356 ff. und die §§ 1601 ff. BGB. Manchmal wird formuliert, beim Tod des Barunterhaltspflichtigen sei im Rahmen des Schadensersatzprozesses ein fiktiver Unterhaltsprozess zu entscheiden. Das ist nur bedingt richtig. Im Unterhaltsprozess geht es i.d.R. um den Unterhalt nach gescheiterter Ehe und räumlicher Trennung mit doppelter Haushaltsführung; oft müssen mit der gleichen finanziellen Ausstattung wie vorher auch mehr Personen versorgt werden. Im Haftpflichtprozess geht es dagegen um den Unterhalt einer intakten Familie, aus der der Unterhaltspflichtige durch Tod herausgerissen wurde. Die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltsverpflichteten in einer intakten Familie, in der die Eltern und Kinder in häuslicher Gemeinschaft leben, ist meist größer als in einer gestörten Familie; denn in einer intakten Familie kann der Unterhaltsverpflichtete von dem Rationalisierungseffekt profitieren, der durch die gemeinsame Haushaltsführung entsteht, so dass er für seine eigenen Bedürfnisse einen geringeren finanziellen Aufwand hat, als wenn er sich außerhalb der Gemeinschaft selbst unterhalten müsste. Deshalb können hier die für den Unterhaltsprozess entwickelten Tabellen (etwa die "Düsseldorfer Tabelle") nicht ohne weiteres verwendet werden. In der Regel ist beim Tod des Barunterhaltspflichtigen die Schadensrente höher als der Betrag, der sich im Unterhaltsprozess ergäbe. Beim Tod des Naturalunterhaltspflichtigen ist die Schadensrente allerdings oft geringer, weil der Geschädigte sich die durch den Tod des Ehepartners eintretenden Ersparnisse anspruchskürzend zurechnen lassen muss.
Rz. 43
Für die Beurteilung, welchen Unterhalt der Hinterbliebene auch in Zukunft hätte verlangen und erwarten können, können allerdings die vom Verletzten vor seinem Tod tatsächlich gezahlten Unterhaltsbeiträge durchaus einen Anhaltspunkt bieten. Es ist dabei aber stets zu bedenken, dass einerseits eine über die gesetzlich geschuldete Unterhaltspflicht hinausgehende (überobligationsmäßig) tatsächlich erbrachte Unterhaltsleistung im Rahmen des § 844 Abs. 2 BGB nicht zu ersetzen ist, während andererseits der Schädiger von der Zahlung einer höheren Unterhaltsrente nicht schon dadurch befreit ist, dass der Getötete selbst seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht durch die geleisteten Zahlungen nicht in vollem Umfang nachgekommen ist. Der Nachweis der Höhe des fiktiven Einkommens des Getöteten kann durch Vorlage einer entsprechende Arbeitgeberbescheinigung geführt werden, wobei ein pauschaler Risikoabschlag nicht gerechtfertigt ist.
Rz. 44
Ausgehend von den Einkommensverhältnissen im Zeitpunkt des Unfalls, von den seitens des Verletzten bis zu seinem Tod tatsächlich gezahlten Unterhaltsleistungen und den konkreten Anhaltspunkten, die sich für die Entwicklung der finanziellen Verhältnisse der Beteiligten für die Zukunft ergeben, hat der Richter den im Sinne des § 844 Abs. 2 BGB entgangenen Unterhalt unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des § 287 ZPO zu ermitteln. Für die Schätzung der Höhe des Unterhaltsschadens ist eine Prognose erforderlich, wie sich die Unterhaltsbeziehungen zwischen Verpflichtetem und Berechtigten ohne den Tod wahrscheinlich entwickelt hätten. Wäre ein Unterhaltsanspruch höchstens künftig unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht gekommen, kann sich eine Feststellungsklage rechtfertigen.