Rz. 175
Verlieren die Kinder unfallbedingt beide Elternteile, so wird ihnen der gesamte Unterhalt, der aus dem bisherigen Einkommen der Eltern zu finanzierende Barunterhalt ebenso wie der Betreuungsunterhalt, entzogen. Den hinterbliebenen Kindern steht gegen den Schädiger dann wegen der Tötung jedes der beiden Elternteile ein Schadensersatzanspruch nach § 844 Abs. 2 BGB zu, dessen Inhalt selbstständig zu ermitteln ist. Jeder dieser Ansprüche kann – je nach der bisherigen Rollenverteilung in der Familie, der Regelung der Berufstätigkeit und der Haushaltsführung etc. – wiederum auf Ersatz des Barunterhalts, des Betreuungsunterhalts oder auf anteiligen Ersatz beider Unterhaltsarten gerichtet sein.
Rz. 176
Verlieren die Kinder beide Eltern, so wird in der Regel der bisherige Familienverband nicht mehr fortzuführen sein, es sei denn, eine Ersatzperson (etwa eine Verwandte) tritt gleichsam im bisherigen Haushalt an die Stelle der Eltern. Regelmäßig werden aber die Kinder in den Haushalt von Verwandten oder in eine Pflegefamilie aufgenommen werden oder es kommt zu einer Heimunterbringung; für die zu wählende Lösung wird oft auch das Alter der Kinder ausschlaggebend sein. In allen diesen Fällen darf der Einsatz dritter Personen (etwa das unentgeltliche Einspringen von Verwandten) dem Schädiger keinesfalls zugutekommen. Die Kosten der Heimunterbringung eines Jugendlichen sind zu ersetzen, wenn er bis zum Unfalltod seiner Mutter durch diese unterhalten und ernährt wurde; ob die Mutter zur Erziehung des Jugendlichen in der Lage war, ist unerheblich.
Rz. 177
Übernehmen Verwandte (etwa die Großeltern) die Betreuung der Kinder, indem sie praktisch den bisherigen elterlichen Haushalt fortführen, so kann der auf Ersatz des entgangenen Barunterhalts gerichtete Anspruch der Kinder anhand des von den Eltern erzielten Familieneinkommens nach den bereits dargestellten allgemeinen Berechnungsgrundsätzen (vgl. oben Rdn 164 ff.) ermittelt werden; dabei können auch die fixen Kosten des Haushalts in der üblichen Weise eingesetzt werden, dürfen allerdings nicht voll (etwa zu je 50 % bei zwei Kindern) auf die Kinder verteilt werden, da sich der Wegfall der Eltern in einer gewissen Reduzierung der fixen Kosten ausdrücken muss. Denkbar ist in diesem Fall auch, die Fixkosten – wegen deren Verringerung infolge des Wegfalls des elterlichen Haushalts – in die prozentuale Einkommensverteilung mit einzubeziehen.
Rz. 178
Die Bewertung des von Verwandten unentgeltlich erbrachten Betreuungsunterhalts kann sich nicht ohne weiteres an Pflegesätzen orientieren, die bei einer gleichwertigen Unterbringung in einer Pflegefamilie aufzubringen gewesen wären (so die frühere Rechtsprechung), sondern muss sicherstellen, dass beim Einsatz von Verwandten die zusätzliche Arbeitsleistung angemessen entschädigt wird. Der Schadensersatzbetrag muss sich am für die Kinderbetreuung notwendigen Arbeitszeitbedarf und einer für eine Ersatzkraft (auch unter Berücksichtigung der bei der helfenden Verwandten vorhandenen Qualifikation) angemessenen Vergütung ausrichten; in diesem Rahmen kann – unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Fallgestaltung – auf die oben in Rdn 142 ff. genannten Tabellenwerke zurückgegriffen werden.
Rz. 179
Hat die nach dem Tod der Eltern einspringende Verwandte (etwa die Großmutter), um die hinterbliebenen Kinder versorgen zu können, ihre eigene Berufstätigkeit aufgegeben, so muss der ihr insoweit entgangene Arbeitsverdienst bei der Bewertung der für ihre Betreuungsleistung angemessenen Vergütung Berücksichtigung finden, soweit nicht dadurch die Aufwendungen überschritten würden, die bei Einstellung einer entgeltlichen fremden Ersatzkraft entstünden. Denn es kommt jeweils auf die konkreten Verhältnisse an, die sich bei der gebotenen Versorgung der Kinder ergeben. Werden die Kinder nicht unentgeltlich von Verwandten betreut, sondern werden sie in einer Pflegefamilie oder in einem Heim untergebracht, so sind die tatsächlich entstehenden Aufwendungen zu ersetzen, soweit sie erforderlich sind.
Rz. 180
War ein Kind bereits Halbwaise, als der ihm verbliebene Elternteil getötet wurde, so stellt sich seine Lage ähnlich dar wie bei unfallbedingter Tötung beider Elternteile. Sein Ersatzanspruch aus § 844 Abs. 2 BGB richtet sich auf den gesamten ihm entzogenen, bisher vom einzigen Elternteil geleisteten Bar- und Betreuungsunterhalt. Lebte zwar zum Unfallzeitpunkt der andere Elternteil noch, war er aber beispielsweise unbekannten Aufenthalts, sodass der getötete Elternteil unter dem Gesichtspunkt der Ersatzhaftung gemäß § 1607 Abs. 2 BGB zur Leistung des vollen Unterhalts verpflichtet war, so ist der unfallbedingte Schaden entsprechend hoch zu bewerten. Einem Kind kann auch dann bei Tötung nur eines Elternteils der gesamte Bar- und Naturalunterhalt entzogen sein, wenn dieser Elternteil nach Scheidung der Ehe die gesamte Unterhaltspflicht für das Kind übernommen hatte.