Rz. 14
Die zunehmende Forderung nach einem Angehörigenschmerzensgeld, wie es in anderen europäischen Rechtsordnungen vorgesehen ist, hat den Gesetzgeber zum Handeln getrieben. Spätestens, nachdem der Arbeitskreis I des 50. Verkehrsgerichtstags 2012 in Goslar mit knapper Mehrheit dafür ausgesprochen hatte, in Fällen fremdverursachter Tötung den nächsten Angehörigen einen Entschädigungsanspruch zu verschaffen, und das bayrische Staatsministerium für Justiz und für Verbraucherschutz 2015 den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Rechtsstellung der Angehörigen von Unfallopfern vorgelegt hatte, war die Zeit für eine Lösung des Problems reif. Zur Einführung eines Angehörigenschmerzensgeldes kam es nicht. Stattdessen wurde der Anspruch auf ein Hinterbliebenengeld geschaffen. Der Streit darum, ob es sich um einen systemfremden Anspruch handelt, weil Drittbetroffene anspruchsberechtigt sind, ist letztlich akademischer Natur. Systematische Bedenken müssen den Gesetzgeber nicht hindern, einen neuen Anspruch zu schaffen, wenn das geboten ist, mag er auch systematische Schwierigkeiten bereiten.
Rz. 15
§ 844 Abs. 3 BGB lautet:
Zitat
"(…)"
Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.“
Die Neuregelung ist ersichtlich auf die bürgerlich-rechtlichen Ansprüche im Recht der unerlaubten Handlungen beschränkt und billigt dem Hinterbliebenen unter näher bestimmten Voraussetzungen unabhängig vom Nachweis einer medizinisch fassbaren Gesundheitsbeschädigung für dessen seelisches Leid eine Geldentschädigung zu. Die Ausgestaltung des Anspruchs ist der künftigen Rechtsprechung überlassen. Die hier beschriebenen Anspruchsvoraussetzungen werten die vorstehend in Bezug genommenen und sonstigen literarischen Stellungnahmen aus.
Rz. 16
§ 844 III BGB ist anzuwenden auf Unfallgeschehen ab dem 23.7.2017. Entscheidend ist der Tag der Primärschädigung, also der zum (späteren) Tod führenden primären Verletzung. Entsprechendes gilt für die inhaltlich identischen Normen in den Spezialgesetzen (z.B. § 10 Abs. 3 StVG, § 5 Abs. 3 HaftPflG, § 7 Abs. 3 ProdHaftG; § 12 Abs. 3 UmweltHG). Dort wurde jeweils ein dem § 844 Abs. 3 BGB entsprechender Absatz hinzugefügt. Das besondere Näheverhältnis muss ebenfalls zum Zeitpunkt der Verletzung bestanden haben.
Rz. 17
Das Gesetz lässt die Schockschaden-Rechtsprechung unberührt. Liegen also die Voraussetzungen für die Entschädigung der Beeinträchtigung als Schockschaden vor, geht das Schmerzensgeld gem. § 253 Abs. 2 BGB dem Hinterbliebenengeld des § 844 Abs. 3 BGB vor. Trotz aller dogmatischen Probleme sollte das Hinterbliebenengeld in der Praxis als immaterielle Entschädigung verstanden werden.
Rz. 18
§ 844 Abs. 3 BGB gilt für die Delikts- und die Gefährdungshaftung (für diese schon aufgrund der jeweiligen Parallelvorschriften). Falls Schadensersatzansprüche ausschließlich aufgrund Vertragshaftung bestehen können, besteht weitgehend kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld. Eine Ausnahme gilt aufgrund ausdrücklicher Regelung im Luftverkehr für die Passagierschadenshaftung mit Blick auf internationale Rechtsregeln (Art. 24 Warschauer Abkommen, Art. 29 Montrealer Übereinkommen) nicht für Ansprüche nach diesen Übereinkommen.
Rz. 19
Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld ist bei mitwirkendem Verschulden des Primäropfers oder einer von ihm zu verantwortende Betriebsgefahr zu mindern. Gleiches gilt, wenn der anspruchsberechtigte Hinterbliebene mitverantwortlich für den Tod des Geschädigten ist. Anspruchsausschlüsse und Haftungsmilderungen können sich aus verschiedenen Gründen ergeben, etwa beim Arbeitsunfall und beim Dienstunfall aber auch aufgrund privater Ausschlüsse ergeben.
Rz. 20
Es ist abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung zur Höhe des Hinterbliebenengeldes entwickeln wird. Es erscheint als ausgeschlossen, dass der im Referentenentwurf und im Regierungsentwurf genannte Betrag von 10.000 EUR sich ungeachtet der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zum Standardsatz entwickeln wird. Das Gesetz stellt auf das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid ab, so dass auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen ist, was selbst bei mehreren Hinterbliebenen in einem Todesfall zu unterschiedlichen Beträgen führen kann.Steenbuck weist zutreffend darauf hin, dass sich in der Kasuistik voraussichtlich Fallgruppen bilden werden, anhand derer man die Höhe des Hinterbliebenengeldes abschätzen kann, und dass man sich in der Übergangszeit an den Schmerzensgeldern für Schockschäden orientieren, wobei das Hinterbliebenengeld allerdings dahinter zurück bleiben muss.
Rz. 21
Anspruchsberechti...