1. Die Reaktion der Gesetzgebung auf das Urteil des EGMR vom 28.5.2009
Rz. 35
Mit dem Zweiten Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder, zur Änderung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung vom 12.4.2011 (Zweites ErbRGleichG) hat die Gesetzgebung auf das Urteil des EGMR vom 28.5.2009 reagiert. Das Reparaturgesetz, das mit Rückwirkung zum 29.5.2009 in Kraft trat, wurde den Vorstellungen des EGMR, wie sich aus seinen weiteren zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen ergibt, nicht gerecht.
Trotz des Verfassungsauftrags zur Gleichstellung nichtehelicher Kinder mit ehelichen Kindern durch die Gesetzgebung in Art. 6 Abs. 5 GG, der seit 23.5.1949, dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, gegolten hat, wurde die Problematik erst 20 Jahre später mit dem Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder (NEhelG) vom 18.9.1969, in Kraft getreten am 1.7.1970, ernsthaft angegangen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte § 1589 Abs. 2 BGB a.F. mittels einer Fiktion die Verwandtschaft zwischen Vater und nichtehelichem Kind schlicht geleugnet ("Ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten nicht als verwandt"). Schon die Weimarer Reichsverfassung sah in Art. 121 vor, dass Gesetze zur Verbesserung der Rechtsposition nichtehelicher Kinder erlassen werden sollten. Es blieb jedoch bei Gesetzentwürfen. Die Wiedervereinigung von 1990 hat mit erneuter nahezu achtjähriger Verzögerung zum 1.4.1998 das volle gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht nichtehelicher Kinder am Vater und den väterlichen Verwandten und umgekehrt das Erbrecht Letzterer am nichtehelichen Kind gebracht. Eine problematische Sonderregelung bestand jedoch seit dem 1.7.1970: Bereits das NEhelG von 1969 hat alle vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kinder vom Erbrecht am Vater ausgeschlossen; diese Sonderregelung – vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß angesehen – blieb auch in der Folgezeit bestehen. Mit dem Urteil des EGMR vom 28.5.2009 kam noch einmal gehörig Bewegung in die unzureichend geregelte Materie.
2. Rechtsprechung bundesdeutscher Gerichte nach dem Urteil des EGMR v. 28.5.2009
Rz. 36
Da Entscheidungen des EGMR keine unmittelbar bindende Wirkung für bundesdeutsche Gerichte haben und das Urteil des EGMR nur inter partes wirkt, musste nunmehr in verschiedenen gerichtlichen Verfahren geklärt werden, auf welche Weise das Urteil des EGMR umzusetzen sei.
Die Gerichte (OLG Stuttgart; Kammergericht; Hanseatisches OLG Hamburg; OLG Köln; LG Saarbrücken) kamen in ihren Entscheidungen unisono zum Ergebnis, aus Gründen des Vertrauensschutzes habe sich an der bisherigen Rechtslage nichts geändert, die Zeitgrenze 1.7.1949 bleibe bestehen; außerdem seien deutsche Gerichte an die eindeutige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebunden.
Der BGH etwa hatte die unter dem Az IV ZR 150/10 gegen das Urteil des Hanseatischen OLG Hamburg eingelegte Revision mit Urt. v. 26.10.2011 zurückgewiesen. Dagegen wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt, die inzwischen mit Beschl. v. 18.3.2013 zurückgewiesen wurde. Allerdings ist dieses zwischenzeitlich obsolet: Der BGH hat nunmehr mit seinem Beschl. v. 12.7.2017 die neueren Entscheidungen des EGMR nachvollzogen und eine erweiterte teleologische Auslegung der deutschen gesetzlichen Regelungen festgestellt, die einen Gleichlauf des deutschen Gesetzesrechts mit den Regelungen der EMRK in der Auslegung des EGMR herstellen.