Rz. 112
Nach § 826 BGB ist derjenige, der einen anderen in sittenwidriger Weise vorsätzlich schädigt, diesem zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Zur Haftung genügt Beteiligung i.S.d. § 830 BGB an einer solchen unerlaubten Handlung.
I. Verstoß gegen die guten Sitten
Rz. 113
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann.
Der Verstoß kann bestehen in einem Unterlassen, wenn die Vornahme der unterbliebenen Handlung sittlich geboten ist, oder in einem positiven Tun. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung haftet gem. § 826 BGB nicht nur, wer die die Sittenwidrigkeit seines Handelns begründenden Umstände positiv kennt, sondern auch, wer sich dieser Kenntnis bewusst verschließt und etwa seine Berufspflichten in solchem Maße leichtfertig verletzt, dass sein Verhalten als bedenken- und gewissenlos zu bezeichnen ist. Aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns kann sich die Schlussfolgerung ergeben, dass mit Schädigungsvorsatz gehandelt worden ist. Von vorsätzlichem Handeln ist auszugehen, wenn der Schädiger so leichtfertig gehandelt hat, dass er eine Schädigung des anderen Teils in Kauf genommen haben muss (vgl. Rdn 129 f.).
Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Dafür reicht es nicht aus, dass eine allgemeine Rechtspflicht oder eine vertragliche Pflicht nicht erfüllt wird. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als "anständig" Geltenden verwerflich machen.
Rz. 114
Sittenwidrig kann ein Verhalten sein wegen des eingesetzten Mittels, z.B.
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Arglist bei Vertragsschluss, während eines Vertrages oder bei Beantragung öffentlicher Mittel; |
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arglistige Täuschung eines Anlegers durch falsche Prospektangaben, Vertrieb eines Geschäftsmodells mit aussichtslosen Geschäften, Abgabe einer anleger- oder objektwidrigen Empfehlung oder unzureichende Risikoaufklärung; |
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Mitwirkung an einem besonders rücksichtslosen Vertragsbruch, auch Missbrauch eines Mandatsverhältnisses, um zum Nachteil des Auftraggebers eine Provision von einem Dritten zu erlangen; |
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Missbrauch einer Vollmacht; |
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falsche Ad-hoc-Mitteilungen zur Beeinflussung des Börsenkurses; |
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Ausübung wirtschaftlichen Drucks; |
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Zahlung von Schmiergeld; |
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Verschweigen einer strafbaren Handlung und der darauf gestützten fristlosen Entlassung in einem Zeugnis; |
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Erschleichung eines Rechts oder eines Vollstreckungstitels. |
Rz. 115
Sittenwidrig kann ein Verhalten wegen seines Zwecks sein, etwa
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schikanöses Vorgehen (§ 226 BGB); |
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planmäßiges (kollusives) Zusammenwirken mehrerer Täter zur Schädigung eines anderen; |
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Erteilung einer fingierten Rechnung, um unerlaubte Zuwendungen an Mitarbeiter des Vertragspartners zu verdecken; |
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Schädigung von Gläubigern durch planmäßigen Entzug des Vermögens einer GmbH; |
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eine sonstige unlautere Gläubigerbenachteiligung. |
Rz. 116
Weiterhin kann ein Verhalten sittenwidrig sein, weil das eingesetzte – an sich nicht zu beanstandende – Mittel zu dem angestrebten – für sich genommen billigenswerten – Zweck mit Rücksicht auf alle Umstände des Einzelfalls außer Verhältnis steht, etwa weil der angerichtete Schaden den begehrten Nutzen weit übersteigt oder nicht durch ein berechtigtes Interesse gedeckt wird. Dies kann z.B. der Fall sein
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bei einem Missbrauch einer formalen Rechtsstellung, etwa weil
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eine Prozesspartei ein Verhalten des Prozessgegners veranlasst, fördert oder ausnutzt, das auf eine Benachteiligung Dritter hinausläuft; |
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dem Kreditgeber eines Dritten ungünstige wahre Tatsachen mitgeteilt werden und dadurch dessen Existenz gefährdet wird, um auf bequeme Weise eine Auskunft zu erhalten, die sich unschwer auch auf andere Weise beschaffen ließ; |
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eine Bank einen Überweisungsauftrag durch Gutschrift auf dem Konto der Bank des Empfängers ausführt, obwohl mit dem Zusammenbruch der Bank zu rechnen ist; |
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ein Rechtsanwalt daran mitwirkt, dass sich "räuberische Aktionäre" ihr Anfechtungsrecht abkaufen lassen; |
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ein Gesellschafter aus eigennützigen Gründen eine sinnvolle Sanierung der Gesellschaft verhindert; |
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von einem nicht erschlichenen unrichtigen Vollstreckungst... | |