Rz. 8
Ein unerlaubtes Tun oder pflichtwidriges Unterlassen, das ein Rechtsgut i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB verletzt, "indiziert" im Regelfall das Unwerturteil der Rechtswidrigkeit. Der tatbestandsmäßige Erfolg der Verletzungshandlung deutet dann auf deren Rechtswidrigkeit hin. Diese liegt nicht vor, wenn der Schädiger einen Rechtfertigungsgrund (§§ 227 ff. BGB, §§ 859, 904 BGB, § 127 StPO, § 193 StGB) darlegt und beweist.
Rz. 9
Bei sog. "offenen Verletzungstatbeständen", zu denen der Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts gehören, ist die Rechtsgutsverletzung kein Indiz für deren Rechtswidrigkeit; diese haftet dem schadensursächlichen Verhalten nur dann an, wenn die erforderliche Güter- und Interessenabwägung im konkreten Einzelfall ergibt, dass die Rechtsposition des Geschädigten dem vom Schädiger geltend gemachten Recht – etwa der Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) – vorgeht. So ist der Eingriff in den Schutzbereich des Gewerbebetriebs nur dann rechtswidrig, wenn das Interesse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt.
Rz. 10
Die Indizwirkung einer unerlaubten Verletzungshandlung ist eingeschränkt in den für Rechtsanwälte wichtigen Bereichen der Vollstreckungsmaßnahmen und der Einleitung von Verfahren, etwa bei Zwangsvollstreckung in schuldnerfremde Gegenstände oder bei einem unbegründeten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Eine sachlich unberechtigte, aber – trotz fahrlässiger Verkennung der Rechtslage – subjektiv redliche Einleitung und Durchführung eines gesetzlich geregelten Verfahrens indiziert nicht die Rechtswidrigkeit einer damit verbundenen Rechtsgutsverletzung; vielmehr hat ein solches schadensursächliches Verhalten wegen seiner verfahrensrechtlichen Zulässigkeit die Vermutung der Rechtsmäßigkeit für sich.
Dies ist auch verfassungsrechtlich geboten. Der Betroffene muss in diesen Fällen die Verletzung seines Rechtsguts ohne deliktsrechtliche Sanktion hinnehmen, weil er sich gegen die ungerechtfertigte Inanspruchnahme in dem jeweiligen Verfahren wehren kann; ein solcher Freiraum besteht auch für beauftragte Rechtsanwälte. Diese Grundsätze gelten entsprechend für ehrverletzende Äußerungen in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren (Art. 5 Abs. 1 GG; § 193 StGB; vgl. Rdn 77 ff.).
Rz. 11
Ist der Geschädigte nicht an dem Verfahren förmlich beteiligt, so verbleibt ihm der deliktsrechtliche Schutz. Dies gilt insb. für die Vollstreckung in schuldnerfremde Gegenstände. Die außerhalb des zwischen Gläubiger und Schuldner laufenden Zwangsvollstreckungsverfahren gegebenen prozessualen Abwehrbefugnisse des betroffenen Dritten, wie etwa die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO, verdrängen den Deliktsschutz nicht.
Rz. 12
Eine vorsätzliche Einleitung und Durchführung eines unberechtigten Verfahrens indiziert uneingeschränkt die Rechtswidrigkeit einer damit verbundenen Rechtsgutsverletzung; in einem solchen Fall richtet sich die Haftung nach § 826 BGB.
Rz. 13
Verzögert ein mit der Zwangsvollstreckung beauftragter Rechtsanwalt schuldhaft die Freigabe einer Pfandsache, nachdem ein die Veräußerung hinderndes Recht glaubhaft gemacht worden ist, so haftet nicht der weisungsgebundene Anwalt, sondern der Gläubiger (Mandant) gem. § 278 BGB für einen Verzugsschaden des Dritten. Dagegen haftet ein Testamentsvollstrecker, der bei der Verwaltung des Nachlasses ein fremdes Sicherungseigentum oder dingliches Anwartschaftsrecht schuldhaft verletzt, selbst aus § 823 BGB.