Rz. 36
Zu den subjektiven Elementen der Wirksamkeitskontrolle gehören die Vorstellungen der Vertragsparteien von der Gestaltung des ehelichen Zusammenlebens. Je mehr die gestalteten Regelungen zu diesen Vorstellungen passen, desto weniger wird man einen Vertrag als sittenwidrig ansehen. Dies sei am Beispiel des Totalausschlusses des Nachscheidungsunterhalts und des Versorgungsausgleichs verdeutlicht: Haben die Eheleute Kinder und führen eine Hausfrauenehe oder planen, ein oder mehrere Kinder zu haben und sodann eine Hausfrauenehe zu führen, oder schließen sie den Ehevertrag in einem Alter, in dem gemeinsame Kinder zu erwarten sind, so führt der Totalausschluss des Nachscheidungsunterhalts und des Versorgungsausgleich zu einer den Kernbereich berührenden Regelung, für deren Sittenwidrigkeit je nach den Umständen des Einzelfalls vieles spricht. Denn der kindesbetreuende Elternteil erleidet auf Dauer ehebedingte Nachteile, die nach dem Ehevertrag nicht kompensiert werden sollen und die ihn – jedenfalls bei durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen – aller Voraussicht nach so schwerwiegend belasten werden, dass schon ex ante der Grundgedanke der ehelichen Solidarität so erheblich verletzt wird, dass die Regelung von vornherein keinen Bestand haben kann. Wenn man die Verletzung – beispielsweise wegen der subjektiven Momente des Vertragsschlusses – insgesamt nicht als gravierend und sittenwidrig ansieht, wird man in diesem Fall zu der Auffassung gelangen, dass die Ausschlüsse im Wege der Ausübungskontrolle zu korrigieren sind.
Rz. 37
Beabsichtigten die Eheleute hingegen, eine kinderlose Doppelverdienerehe zu führen, so soll sich nach den Vorstellungen der Parteien der den Kernbereich berührende Ausschluss des Betreuungsunterhalts nicht nachteilig auswirken. Das gleiche gilt für den ebenfalls in den Kernbereich fallenden Alters- oder Krankenunterhalt sowie den Versorgungsausgleich, denn die Parteien haben die Erwartung, für den Alters- oder Krankheitsfall jeder für sich selbst vorzusorgen. Der Eingriff in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts kann hier angesichts der subjektiven Vorstellungen der Parteien bei Vertragsschluss nicht zur Sittenwidrigkeit führen. Stellt sich entgegen der Planungen der Eheleute doch ein Kind ein, das dazu führt, dass ein Elternteil die Berufstätigkeit vorübergehend einschränkt, so kann dies im Rahmen der sogenannten Ausübungskontrolle nachträglich berücksichtigt werden. Der Ehegatte, der nunmehr nach den gesetzlichen Bestimmungen den Betreuungsunterhalt schuldet, kann sich unter Abwägung aller weiteren Umstände auf den vertraglichen Ausschluss jetzt möglicherweise nicht berufen. Das Gericht muss nunmehr den geänderten Umständen in ausreichender Weise Rechnung tragen. Kommt es – wie im Beispielsfall – zu einer Änderung der subjektiven Grundlagen des Ehevertrags, hat die Anpassungskontrolle den Charakter einer Anpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage, wie sie in § 313 BGB geregelt ist.
Rz. 38
Zur Streitvermeidung und im Interesse der Rechtssicherheit sollten die Vorstellungen der Eheleute im Vertrag dokumentiert sein. Die Motive für den Ausschluss des gesetzlichen Anspruchs eines beteiligten Ehegatten sollten im Vertrag aufgeführt werden, um die Angemessenheit der Regelung beurteilen zu können. Die Vorstellungen der Eheleute von ihrem Ehetyp und die Motive für anspruchsbegrenzende Regelungen werden auf diese Art und Weise zum Maßstab auch für die Bewertung einer zukünftigen Ausübungskontrolle. Darin liegt eine Gefahr, wenn die formulierten Erwartungen der Vertragsparteien zu euphorisch ausfallen oder bestimmte Entwicklungen nicht bedacht werden oder zwar bedacht werden, dieses Bedenken aber im Vertragstext nicht dokumentiert wird. So mögen die Eheleute in dem vorgenannten Beispiel wie folgt formuliert haben:
Formulierungsbeispiel
Wir sind 40 Jahre alt und beabsichtigen, eine kinderlose Doppelverdienerehe zu führen. Wir gehen davon aus, dass jeder von uns im Falle einer Scheidung für sich selbst sorgen kann. Daher schließen wir den Nachscheidungsunterhalt auch für den Fall der Not sowie den Versorgungsausgleich wechselseitig aus.
Rz. 39
Die Ehe wird nach 15 Jahren geschieden, nachdem einer der Ehegatten bereits 10 Jahre dauerarbeitslos geworden ist. Aus der Dokumentation der Motive für den Ausschluss von Nachscheidungsunterhalt und Versorgungsausgleich geht nicht ausdrücklich hervor, ob die Eheleute diese Entwicklung bedacht haben. Anders wäre es, wenn die Vertragsparteien als dritten Satz ergänzend eingefügt hätten:
Rz. 40
Formulierungsbeispiel
Wir halten es daher für angemessen, dass die eheliche Solidarität nicht über die Dauer der Ehe hinaus reichen muss und im Falle eines Scheiterns der Ehe jede Seite das Risiko von Krankheit, Alter oder Erwerbslosigkeit selbst trägt.